Adolf Ebert an Hugo Schuchardt (17-02693)
von Adolf Ebert
an Hugo Schuchardt
07. 04. 1877
Deutsch
Schlagwörter: Diezstiftung Universität Bonn Universitätsangelegenheiten Stiftungen Rundschreiben Universität Leipzig Todesfälle Wissenschaftstheoretische Reflexion Romanische Philologie Tobler, Adolf Mussafia, Adolf Delius, Nikolaus Lemcke, Ludwig Ritschl, Friedrich Wilhelm Storost, Jürgen (1992) Storost, Jürgen (1989) Storost, Jürgen (1990) Schuchardt, Hugo (1877)
Zitiervorschlag: Adolf Ebert an Hugo Schuchardt (17-02693). Leipzig, 07. 04. 1877. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4987, abgerufen am 09. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4987.
Leipzig d. 7. April 77.1
Lieber Herr College!
Ihre beiden Briefe zu beantworten hatte ich schon länger den Wunsch, wurde aber theils durch Besuche, theils durch ein noch immer nachwirkendes Unwohlsein, das mich gegen Ende des vorigen Semesters befiel, daran verhindert.
Mein Verhältniß zu der Diezstiftung ist in der Kürze folgendes. Tobler legte mir seinen Plan vor zur Annahme mehr als zur Begutachtung; ich erklärte ihm, daß ich seine hochfliegenden Hoffnungen auf eine große Einnahme ganz u. gar nicht theile, daß man sich auf ein Stipendium von der Universität Bonn beschränken solle, u. dieser die Vergebung später überlassen+ (+ statt einem Berliner Comité oder der Berliner Akademie, indem ich geltend machte, daß in solchem Falle schon die Franzosen nichts zahlen würden), daß daher dem zu bildenden Comité keine weitere Aufgabe zu stellen sei, als für die Stiftung zu interessiren u. Geld aufzubringen, u. dasselbe dann aus den angesehensten Gelehrten unseres Fachs aus ganz Deutschland, Östreich u. der Schweiz zu bestehen habe. Namentlich wären Mussafia, Sie, Delius pp. heranzuziehn. Außerdem müßte man die Germanisten für die Sache zu gewinnen suchen, u. auch von ihnen einige in das Comité ziehn. Nur den letzten Punkt berücksichtigte |2|Tobler. Da er mir auf mein Schreiben gar keine Antwort gab, u. nur eine gedruckte Aufforderung zur Beitrittserklärung sandte, so lehnte ich ab; darauf erfolgte alsbald von ihm ein Brief, worin er mich dringend bat doch noch beizutreten. Ich ließ mich dummer Weise bereden. Seit dem habe ich außer einem auf einer Postkarte gechrieben[en] Circular, das zu einer Sitzung in Berlin Anfangs März aufforderte, keine Zeile von Tobler erhalten. Der Sitzung konnte ich nicht beiwohnen; was darin beschlossen, weiß ich nicht. Das bis zum Sitzungstermin eingelaufene Geld – ungemein wenig, noch unter meinen Erwartungen – sandte ich an Tobler nach Berlin; nicht einmal eine Empfangsbecheinigung! Sie sehen schon hiernach daß ich ohne allen u. jeden Einfluß bin. Die ganze Sache ist verpfuscht, weil falsch angelegt, u. noch schlechter ausgeführt. Alle Welt beschwert sich. So schreibt mir Lemcke ganz entrüstet; ihm ist von Tobler nichts als eine Anzahl der Aufforderungen zugegangen, ohne eine begleitende Zeile.
Was nun die von Ihnen in dem Artikel d. Augsb. Allg. Z. ausgesprochene Ansicht betrifft2, Rom zum Sitz des Comités zu wählen, so sieht dies im Zusammenhang mit der früheren Bemerkung daß seit 1870 die Romanen auf dem Felde dieser Studien bei weitem bedeutenderes geleistet hätten als wir |3| Deutschen wie eine Abdication unsererseits auf die Herrschaft auf diesem Felde der Wissenschaft aus. So weit ist es nun Gottlob noch nicht gekommen. Es ist keine so große wissenschaftl. Heldenthat, wenn die Romanen endlich nachdem wir nach allen Richtungen hin auch in dieser Wissensch. die Bahn gebrochen, die Ziele gezeigt, die Wege gewiesen, auf einmal ein paar Jahre etwas produciren, namentlich wo sie so im Materiale drin sitzen. Und von ihren Leistungen gilt zum Theil recht das Wort: es ist nicht alles Gold was glänzt, mehr glänzende Hypothesen, als sichere Resultate, auf denen sich mit Sicherheit fortbauen läßt. Die großen Fortschritte der Wissenschaft werden auch auf diesem Felde in der Zukunft von Deutschland ausgehen, dessen bin ich gewiß. Und Sie selbst gehören ja zu den Männern von denen wir auf bestimmten Gebieten solche Hoffnung hegen dürfen. Ich kann daher nicht leugnen, daß mich als Deutschen Ihre Worte verletzt haben. Die Romanen mögen sich selber loben – u. sie lassen es daran auch gar nicht fehlen; wenigstens mögen sie nicht von uns auf unsere Unkosten gelobt werden.
Doch, wie der Berliner sagt, darum keine Feindschaft nicht! Ich wollte, Sie hätten mir etwas über Ihr persönliches Befinden, Ihre Wirksamkeit in Grätz3, Ihre schriftstellerischen |4| Pläne bei der Gelegenheit geschrieben. Mein Interesse an alle dem werden Sie nicht bezweifeln. Ich hoffe also einmal eine ausführliche Nachricht von Ihnen zu empfangen.
An unserer Universität hat sich manches geändert, schon mit nächstem Semester werden wieder neue Kräfte auftreten. Der Verlust Ritschl’s4 wird am schwersten überwunden werden, wenn dies überhaupt möglich ist.
Mit den besten Grüßen
der Ihrige
A. Ebert.
1 Die die Diez-Stiftung betreffenden Teile des Briefs sind ediert von Jürgen Storost, Hugo Schuchardt und die Gründungsphase der Diezstiftung. Stimmen in Briefen, Bonn 1992 (Abhandlungen zur Sprache und Literatur; 59), 36-37 (Brief 29). Vgl. weiterhin Storost, „Die Diez-Stiftung. 1. Zur Gründungsgeschichte“, Beiträge zur Romanischen Philologie, 28, 1989, 301-316, bzw. „Die Diez-Stiftung. 2. Zur Wirkungsgeschichte“, ebd. 29, 1990, 117-133.
2 „Eine Diezstiftung“, Beilage zur Allgemeinen Zeitung (Augsburg, München) 1877, 292-300.
3 Ehemalige Schreibung von Graz.
4 Der Klassische Philologe Friedrich Ritschl war am 9.11.1876 in Leipzig verstorben.