Hugo Schuchardt an Vatroslav Ignaz Jagič (84-s.n.)
von Hugo Schuchardt
05. 06. 1910
Deutsch
Schlagwörter: Albanisch Oblak, Vatroslav Krek, Gregor Meyer, Gustav Meringer, Rudolf
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Vatroslav Ignaz Jagič (84-s.n.). Graz, 05. 06. 1910. Hrsg. von Claudia Mayr und Helena Reimann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4880, abgerufen am 17. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4880.
Graz, 5. 6. 10.
III, Villa Malwine
Verehrter Herr Kollege:
Haben Sie meinen aufrichtigsten Dank für Ihr in jeder Beziehung gewichtiges Werk. Ich muß es nicht nur unter die Hilfsmittel wissenschaftlicher Erkenntnis einreihen sondern auch, als eine Art von Hanteln, unter die Gerätschaften der Zimmergymnastik; ich pflege nämlich fast immer zu gehen oder zu liegen, und das Sitzen nur mit dem Schreiben # zu verbinden (weshalb mir auch die Akademiesitzungen etwas beschwerlich fallen). Abgesehen
# und Tarokspielen
|2|davon daß die Unklarheit, die seit langen Jahren mich bedrückt, wo der выпускъ aufhört und der томъ beginnt, sich jetzt noch mehr verdichtet hat, abgesehen davon belehrt mich dieses Denkmal riesiger Arbeit nach allen Seiten hin. Ich habe zunächst einige Rosinen herausgeklaubt, das heißt das gelesen was Sie über die Männer berichten, mit denen ich persönliche Beziehungen unterhalten habe (Trstenjak 1, Oblak u.s.w.). Meistens waren es freundschaftliche, nur einer – Krek – war lange Zeit hindurch (Baudouin de Courtenay 2stellte eine Aussöhnung her) für mich und G. Meyer „Iwan der Schreckliche“.
Ebenso bin ich Ihnen verbunden wenn Sie veranlaßen daß mir die gewünschten Bände der Veröffent |3| lichungen der Balkankommission zugesandt werden. Wird übrigens nicht einmal über Albanisches etwas kommen? Unsere Kenntnisse dieser Sprache oder vielmehr dieser Mdd. zeigten doch noch sehr große Lücken. Ich habe mich vor einigen Tagen an Dr. Pekmezi3 gewandt, damit er mir einen Weg angebe auf dem ich mich über albanische Fischereiausdrücke gründlich zu unterrichten vermöchte. Aber vielleicht wissen Sie hier Rat? Was die südslawischen Wörter für die Meerfischerei anlangt so haben wir diese so ziemlich beisammen, dank vor allem der Arbeiten von Zore 4und Lorini; aber der große Rječnik verzeichnet sie nicht alle.
Es würde mich außerordentlich freuen Sie hier begrüßen zu |4| können, wollten Sie nicht die Güte haben mich vorher zu verständigen damit ich Sie ja nicht verfehle? Ich bin zwar fast immer hier, habe indessen doch für die nächste Zeit (oder für den Spätherbst) eine kleine Reise vor, hauptsächlich um die Regionalausstellung von Capodistria zu besuchen. Vielleicht komme ich auch einmal auf den Semmering; ich möchte doch nicht daß in meinem Nekrolog unter meinen sonstigen negativen Eigenschaften stünde: „nie auf dem Semmering gewesen.“
Meringer hat über seine Wahl eine geradezu komische Freude empfunden, (ich selbst konnte das natürlich nicht wahrnehmen); ich hoffe daß da er nun groß geworden ist, seine Großmannssucht sich etwas dämpfen wird.
Mit herzlichem Gruß
Ihr erg
HSchuchardt
1 Davorin Trstenjak (1817-1890), slowenischer Schriftsteller, Etymologe, Historiker und katholischer Priester.
2 Jan Baudouin de Courtenay (1845-1929), polnischer Linguist und Slawist, lehrte an etlichen Universitäten, unter anderem an der Universität in Kasan, Tartu, Krakau und St. Petersburg.
3 Georg Pekmezi (1872–1938), albanischer Linguist und Folklorist. Siehe auch Albanian Voices (abgerufen am 29. 07. 2016).
4 Vermutlich Lukijan Zore (1846-1906), serbischer Philologe, Schriftsteller und Politiker in Dubrovnik
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Zagreb. (Sig. s.n.)