Hugo Schuchardt an Vatroslav Ignaz Jagič (59-s.n.)

von Hugo Schuchardt

an Vatroslav Ignaz Jagič

Graz

19. 12. 1899

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Grazlanguage Dalmatisch Meyer-Lübke, Wilhelm Bartoli, Matteo Ive, Antonio Hartel, Wilhelm von Humboldt, Wilhelm von Baudouin de Courtenay, Jan Oblak, Vatroslav Graz

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Vatroslav Ignaz Jagič (59-s.n.). Graz, 19. 12. 1899. Hrsg. von Claudia Mayr und Helena Reimann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4861, abgerufen am 23. 03. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4861.


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Graz 19 Dez 99

Verehrter Herr Kollege,

Gestern habe ich zugleich mit einem Brief von Meyer-Lübke, auch einen sehr langen von Bartoli erhalten, einen Motivenbericht. Wie ich ihm aber eben nach Albona (wohin er ja wohl schon abgereist ist) geschrieben habe, bin ich mit diesen Motiven gar nicht einverstanden. Sie beziehen sich nämlich nicht sowohl auf den wissenschaftlichen, als auf den persönlichen Charakter Ives. Über diesen aber ist er nicht von sich aus – er hat ja Ive bei seinem hiesigen Besuch voll der liebenswürdigsten Zuvorkommenheit gefunden - , sondern von Andern unterrichtet worden. Sie wissen ja aber nun auch wie viele Klatschereien und Hetzereien, besonders auf nationaler Grundlage, unter unsern Italienern gedeihen. Ich möchte Ive gegen den ihm von B. gemachten Vorwurf |2| er sei „falso e maligno“ nachdrücklichst in Schutz nehmen. Er ist ganz das Gegentheil eines »tückischen Wälscher«. Hartel der ihn gut kennt, fragte mich vor längerer Zeit, „ist Ive noch so schusslig?“ Ich sagte, es habe sich das bei ihm gebessert. Aber in der That ist diese Schussligkeit sein Hauptfehler, der ihm mehr Unbeliebtheit einträgt als wenn er der raffinierteste, berechnetste Schurke wäre. Er sagt Alles was ihm gerade durch den Kopf fährt, ja das Wort eilt seinen Gedanken voraus. Da fehlt es dann natürlich nicht an unbesonnenen und unzutreffenden Äusserungen durch die er wohl nur sich allein schadet. Ich habe ihn öfters auf diesen Fehler aufmerksam gemacht; aber, obwohl ich grossen Einfluss auf ihn habe, ist es mir nicht gelungen ihn davon zu kuriren – es ist das eben Temperamentssache. Man macht ihm in unserer Angelegenheit besonders zum Vorwurf dass er behauptet habe, Udina1 sei gestorben. Ich nehme nicht an dass er das im guten Glauben gesagt hat; ich werde ihn darüber zur Rede stellen.

Immerhin betrachte ich es als ausgeschlossen dass der Westistrier und der Ostistrier sich auf dem Grabe des letzten Veglioten duellieren. Dieses erinnert |3| mich übrigens etwas an jenen Papagei am Amazonenstrom (zur Zeit W. von Humboldts), aus dessen Schnabel man zum letzten Mal die Laute einer gewissen Indianersprache vernahm.

Nach dem was Sie mir über die auf Grund der Treitlstiftung gemachten Unternehmungen mittheilen, kann ich mir nur Glück dazu wünschen dass ich mit meinem bask. N.T. aus einer anderen Quelle subventionirt worden bin. *) Dasselbe ist mit Katechismus u.s.w.; im Ganzen 1200 Seiten stark, schon seit Monaten gedruckt, und ich darf wohl sagen bestens – nur machen mich ein paar kleine Unebenheiten die nachträglich im Reindruck sich eingestellt haben ganz unglücklich. Ob wohl dergleichen bei jedem Reindruck mehr oder weniger vorkommt? Nun bin ich noch mit der Einleitung nicht ganz fertig, sodass bis zum Erscheinen des Buches noch eine Weile vergehen wird.

Zu krkača führt mir Štrekelj 2 das čak. krkiča (Sitzungsber. W.A CVIII, 225) an. Ich konnte diese Form leider nicht mehr citieren; meine Jagd auf slawische Wortformen – bei der ich hoffentlich nicht zu viel Böcke geschossen haben werde – ist nun

*) Wenn ich mich auf Topolovšek3 berufen hätte, so konnte ja auch mir die Aegide der Balkankommission zu theil werden.

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abgeschlossen. Eine Auskunft stand noch aus, über das Wort тербук das in dem Russ.-ruth. Wtb. von Umanetsi und Spilken unter сѣть vorkommt, ich schrieb an Ersteren nach Odessa, vielleicht gibt es aber dort mehrere Notare Komarow sodass der Brief nicht an die Adresse des Richtigen gekommen ist.

Mit Ihrer politischen Nachschrift bin ich vollständig einverstanden. Es muss doch endlich einmal besser werden, es ist ja zu dumm! Wenn nur die Realisten unter den Tschechen einen grösseren Einfluss hätten! Ich bin für die Gerechtigkeit in jeder Form, nur nicht für die staatsrechtliche – das ist für mich eine contradictio in adjecto.

Neben mir liegt gerade die Broschüre eines Wiener Schriftstellers Bresnitz von Sýdačoff “Die panslawistische Agitation”, kroaten-deutsch-polenfreundlich, serben-jungtschechenfeindlich schlecht geschrieben, schlecht gedacht. Richtiges und Unrichtiges enthaltend (über Baudouin de Courtenay ist er ungenügend unterrichtet) mir aber wegen unserm verstorbenen Oblak interessant. Als er nach Graz kam, ging ihm der Ruf eines Agitators voraus; Sie beruhigten mich in dieser Hinsicht, ich kam selbst zu der Ansicht dass ein so kränklicher Mensch bei so reger wissenschaftlicher Thätigkeit für aktive Politik nicht Kraft noch Zeit habe. Aber die Cillier Vorgänge haben mich aufgeklärt; welche Rolle muss er gespielt haben um nach seinem |5| Tode so und von solchen geehrt zu werden! Ich gestehe offen dass dadurch sein Andenken bei mir etwas getrübt worden ist, ich schätzte ihn sehr. Nicht im Entferntesten dass er Panslawist oder etwas ähnliches gewesen ist – das hätte meinen wissenschaftlichen Verkehr mit ihm nicht beeinträchtigt, sondern dadurch dass ich das nicht wusste, und mich ihm gegenüber wohl unbefangen über Manches äusserte worüber er seinerseits sich grösster Zurückhaltung befleissigte.

Vor einigen Wochen habe ich mein Pensionierungsgesuch eingereicht; es ist noch nicht erledigt. Hartel hat bei seinem Hiersein zu Verschiedenen geäussert, man müsse mich halten oder dergleichen. Ich bin nun mit einiger Sorge erfüllt dass Hartel bei der jetzigen Krisis vom Schauplatz verschwinden und bei Hinausschiebung der Angelegenheit Unangenehmes für mich zur Folge haben könnte. Leistungsfähig – als Lehrer – bin ich durchaus nicht mehr, ein fortwährendes Kränkeln hemmt mich in Allem. Künstlich zu halten braucht man mich nicht; ich bleibe ja in Graz und werde alles thun, was in meinen Kräften steht, um mich wenigstens der universitas litterarum nützlich zu erweisen. Und auch der Universität in engerem Sinne; denn wenn ich mich im Allgemeinen auch für unsere langwierigen, langweiligen und meist erfolglosen Fakultätsverhandlungen nicht begeistert habe, so hege ich doch das allerwärmste Interesse an dem Aufblühen unserer Universität, und habe auch unserer |6| Bibliothek – falls ich nicht etwa aus Versehen noch geheirathet werde – meine nicht ganz unansehliche Büchersammlung zugedacht. Sollten Sie Hartel gelegentlich einmal sehen, bitte befragen Sie ihn doch meinetwegen. Ich möchte gern wissen, wie es mit mir steht. Es wäre ja möglich dass ich aus Gesundheitsrücksichten noch jetzt im Winter nach dem Süden müsste, sollte ich denn da erst um einen Urlaub einkommen? Und der Fall wird sich mehr und mehr wiederholen. Der romanischen Sprachwissenschaft sage ich nun Valet – und werde mich praktisch, dilettantenhaft, sammelnd – mit romanischer Ethnographie beschäftigen falls mir das Reisen nicht zu sauer fällt; in Sachen der Sprachwissenschaft aber werden mich Kaukasus und Pyrenäen ausreichend versorgen.

Nicht wahr das ist eine lange Expectoration? Nun denken Sie meinetwegen es sei ein verfrühter Sylvestertraum, und erwachen Sie gesund und munter davon zu fröhlicher Weihnachtsfeier.

Mit besten Grüssen

Ihr ganz ergebener

H Schuchardt


1 Antonio Udina (1821 - 1898), letzter Sprecher des Vegliotischen.

2 Karl / Karel Štrekelj (1859-1912), Slawist, Philologe und Ethnograph

3 Ivan Topolovšek (1851–1921), slowenischer Linguist, beschäftigte sich mit basko-slawischen Sprachformen. Siehe auch Slovenska biografija (abgerufen am 28. 07. 2016).

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Zagreb. (Sig. s.n.)