Hugo Schuchardt an Vatroslav Ignaz Jagič (20-s-n)

von Hugo Schuchardt

an Vatroslav Ignaz Jagič

Graz

11. 11. 1886

language Deutsch

Schlagwörter: Universitätsbibliothek Graz Magyar Nyelvör Archiv für slavische Philologielanguage Baskischlanguage Altkirchenslawischlanguage Slowenischlanguage Rumänischlanguage Ungarisch Bonaparte, Louis Lucien Asbóth, Oszkar Wien Schuchardt, Hugo (1886) Schuchardt, Hugo (1886) Miklosich, Franz (1862–1865)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Vatroslav Ignaz Jagič (20-s-n). Graz, 11. 11. 1886. Hrsg. von Claudia Mayr und Helena Reimann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4834, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4834.


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Graz, 11. Nov. 1886

Hochverehrter Herr Kollege!

Anbei das Gewünschte! Für Auskunft bezüglich Bonapartes1 Abhandlung besten Dank, in dem gebundenen Band der Transactions von 1880-1881, der sich auf unserer Universitätsbibliothek findet, fehlt ein Heft ohne dass äusserlich dieser Defect wahrnehmbar wäre.

Sehr verbunden bin ich Ihnen auch dass Sie Ásbóth veranlasst haben der Polemik zu entsagen. Ich habe nichts unglaublicheres gesehen als die unendlich lange Polemik zwischen Ásbóth und Volf im M. Ny.2darüber wie man von dem Verhältnis zwischen „Alt=“ und „Neuslowenisch“ zu reden habe. Auch nicht ein Atom sachlicher Belehrung fiel dabei für denjenigen ab der war eine elementare Vorstellung von der Sache schon hatte. Ich |2| möchte nun aber doch gleich jetzt zweierlei feststellen, und es könnte das nöthigenfalls der Ásbóthschen Auslassung als Anmerkungen – einfach in Citatform – angefügt werden.

Ich habe nicht behauptet dass Karácsony aus dem Rumänischen stamme.

Literaturbl. für germ. u. rom. Phil. 1886 S. 154:

„Ob nun dieses Wort direct aus dem Rumänischen in das Magyarische oder durch Vermittelung des Slavischen übergegangen ist, das wage ich nicht zu entscheiden.“

Ásbóth macht mir zumindestens einen Vorwurf daraus, dass ich mich nicht entschieden habe, allein um in dieser Sache so bestimmt zu urtheilen, dazu fehlen mir die Vorkenntnisse noch. Doch hoffe ich später mit Ásbóth darüber zu rechten, ob denn wirklich die Annahme eines rumänischen Lehnwortes im Magyarischen etwas Unsinniges ist. |3| Ferner habe ich im Magyar Nyelvör 1886 (Julius) S. 301 Ásbóth das Zugeständnis gemacht dass das ny von Karacsóny bei der Frage nach dessen Herkunft nicht in Betracht kommt, dass es mir nicht klar geworden ist.

„De annyit szivesen elismerek, hogy a karacsóny-ban lévö ny-re nézve nem jöttem tisztába.

Und unmittelbar darauf noch das andere:

Azt is megengedem, hogy a kis-orosz kerečunj-t nem kellett volna csak amugy egyszerűen kerečun-nal egybeállitanom: Miklosich Lex. Palaeosl. 318:“Klruss. Kerečunj, vigiliu hujus festi“ (holott másutt kerečunj večer is olvasható nála) vezetett ez egybeállitásra.

Wenn also Ásbóth wirklich |4| das was er schon anderswo gesagt hat, im Archiv wiederholen will und zwar ohne den Zweck den ich mit einer solchen Wiederholung verfolgen (ich hoffe dass die Slawisten mich belehren), so muss er wenigstens so billig sein und ausdrücklich anerkennen, dass ich schon längst in den beiden allerdings ganz untergeordneten Punkten ihm Recht gegeben habe.

Wenn ich nach Wien komme, so berührt mich auch manches Persönliche unangenehm; es herrscht viel Streberthum dort! Nun möge es Ihnen trotz dieser kleineren oder grösseren Uebelstände doch im Ganzen wohl dort behagen. Da wir uns voraussichtlich nicht so bald von Angesicht zu Angesicht kennen lernen werden, - haben Sie nicht etwa eine Photographie für mich?

Mit besten Grüssen

in grösster Eile

Ihr ganz ergebener

HS


1 Louis-Luicen Bonaparte (1813–1891), komparativer Linguist und Dialektologe, beschäftigte sich v. a. mit der baskischen Sprache.

2 Magyar Nyelvőr ist eine sprachwissenschaftliche Zeitschrift, die 1872 von Gábor Szarvas mit Unterstützung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Pest gegründet wurde und erscheint vierteljährlich.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Universitätsbibliothek Zagreb. (Sig. s)