Vatroslav Ignaz Jagič an Hugo Schuchardt (77-05043)
an Hugo Schuchardt
07. 09. 1907
Deutsch
Schlagwörter: Hölder Verlag Archiv für slavische Philologie Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien) Universität Wien Karabacek, Josef von Wien Graz
Zitiervorschlag: Vatroslav Ignaz Jagič an Hugo Schuchardt (77-05043). Reichenau an der Rax, 07. 09. 1907. Hrsg. von Claudia Mayr und Helena Reimann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4797, abgerufen am 08. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4797.
Reichenau bei Payerbach
Schützenvilla
7. 9. 1907
Lieber Herr Kollega!
Die Wiener würden dazu, wovon Sie mir schreiben, einfach sagen: es is‘ halt‘ a Schlamperei! Das ist glaub‘ ich auch der richtige Ausdruck dafür. Von einem „Beschluß“ kann doch wohl nicht die Rede sein, wenigstens mir ist ein solcher nicht bekannt. Es wird also einfach der „Beschluß“ der Kanzlei sein, die vielleicht nicht über ausreichendes Personal verfügt, um schneller die Expedition zu besorgen. Uebrigens weiß ich nicht einmal, ob das die Sache der Kanzlei ist oder des Kommissionärs. Sie wissen ja, daß wir seit einem Jahr den Kommissionsverlag an Hölder übergeben haben. Ob er fleißiger im Vertrieb der akademischen Publikationen sein wird, als in dem seines eigenen Verlags, das weiss ich nicht, mir ist nur so viel bekannt, daß er sich bei der Publikation der Schriften der Balkankommission linguist. Abteilung nicht die geringste Mühe genommen hat, um die in seinem eigenen |2| Verlag erschienenen Hefte zu annonzieren. Z.B. die Redaktion des Archivs für slav. Philologie bekam von ihm nie ein Rezensionsexemplar!
Warum Ihnen Karаbacek keine Auskunft gegeben hat, der ja sonst in Punkto der Korrespondenz sehr zuvorkommend zu sein pflegt, das ist mir unerfindlich. Offenbar reicht bei ihm nicht die Zeit aus, da er sich zuviel auf Schultern geladen hat, worunter auch die Sache sehr leidet. Namentlich in der Akademie klappt jetzt nicht so alles, wie einst unter der Herrschaft Arneth-Siegel 1.
Ich sehe, daß meine Grazer Freunde nicht mehr in diesem Jahre Reichenau aufsuchen werden. Schade, wir hatten ja doch bis vor kurzem mehrere herrliche Tage. Jetzt ist es allerdings schon kühl. Vorgestern war die Rax stark mit Neuschnee ausgestattet und ich mußte in einem Kämmerlein heizen lassen. Jetzt schreibe ich diese Zeilen wieder auf frischer Luft vor dem Häuschen, gegen die Sonne gekehrt, die leider zu häufig sich hinter den Wolken versteckt.
|3|Da wie Sie wissen in Wien die Blattern das Publikum stark beunruhigen und der Beginn der Mittelschule bis zum 1. Oktober verschoben worden ist – mein Enkel schrieb gestern seinem Papa nach Aqua viva in Ischia einen Brief, der mit Hurrah! begann – so verbleiben wir hier, selbst frierend, wenn es sein muss, bis über den 20tenVielleicht komme ich dann, um meiner Frau aus dem Wege zu gehen, auf 1 – 2 Tage nach Graz. Dann würden wir uns ja sehen. Bis dahin werden wohl auch Sie ganz wieder der junge, fesche Akademiker werden.
Mit herzlichem Gruß
Ihr
alter Freund
V. Jagić
1 Alfred von Arneth (1819-1897), Historiker, Archivar und Politiker, 1869-1879 Vizepräsident, 1879-1897 Präsident der Akademie der Wissenschaften in Wien; Heinrich Siegel (1830-1899), deutsch-österreichischer Rechtshistoriker und Professor für deutsches Recht an der Universität Wien, war 1898/99 Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften in Wien