Vatroslav Ignaz Jagič an Hugo Schuchardt (72-05042)

von Vatroslav Ignaz Jagič

an Hugo Schuchardt

Wien

02. 07. 1903

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Prag Universität Wien Grundriss der slavischen Philologie Radloff, [Wilhelm Friedrich] Salemann, Carl Gustav Hermann

Zitiervorschlag: Vatroslav Ignaz Jagič an Hugo Schuchardt (72-05042). Wien, 02. 07. 1903. Hrsg. von Claudia Mayr und Helena Reimann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4795, abgerufen am 07. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4795.


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Wien 2. Juli 1903

Sehr geehrter Herr Collega!

Ich habe vor lauter Eile Ihren Brief verlegt und zu meinem Schrecken erst heute bemerkt, daß ich ihn noch nicht beantwortet habe. Sie werden sich denken, auch der ist schon verrusst und antwortet nicht! Nun so arg ist es nicht. Ich bin zwar meinem Collegen Jireček 1„gram“, wie die Wiener sagen, daß er meine gewesene Krankheit als Influenza diagnosticirte. So war ich der Freude beraubt einige auswärtige Freunde zu sehen, die mich vielleicht sonst besucht hätten. Es war ja bloss eine Erkältung ohne jede Complication, ohne jede Gefahr der Infection! Nun stehe ich Ihnen brieflich zur Verfügung, leider weiß ich wirklich nicht, wie ich mir die Sache erklären soll. Ich sah in Petersburg einmal Radloff und ein- oder zweimal Salemann. Sie sprachen nichts von Ihrem Anliegen. Salemann war auch in einer Sitzung |2| wo es sich um den Grundriß der slav Philologie handelte. Doch zu einem näheren Gespräch kam es nicht. Ich habe jetzt keine Ahnung, wo er über den Sommer stecken mag. Vielleicht ließ er für die Absendung der Handschrift im Ausland die allerhöchste Einwilligung erbitten, und vielleicht zieht sich die Sache darum in die Länge. Doch das ist noch immer kein Grund um Ihnen auf die Briefe keine Antwort zu geben. Wenn im Herbst nichts geschieht und Sie auch dann noch auf die Uebersendung reflectiren können, so will ich wenn ich wieder dort sein werde, die Sache urgiren, resp. die Aufklärung verlangen. Einen anderen Rat weiß ich leider nicht.

Sie können sich nach dieser kleinen Probe recht gut vorstellen, wie schwer es mir sein wird mit den echten Rußen – das sind ja nur unechte! fertig zu werden, wenn ich die Redaktion der Энциклопедия слав. Филологии|3| (= Grundriß der slav Philologie) uebernehmen sollte, wie mir die Akademie zumutet! Ich habe mich noch nicht entschloßen, ich sehe mich zunächst nach den Mitarbeitern um. Bringe ich eine tüchtige Generalität zusammen, nur dann kann es losgehen aber eben das ist sehr schwer zu bewerkstelligen, bei der bekannten Disciplinlosigkiet und Trägheit der lieben slavischen Rasse!

Wenn es zu etwas kommt, ich werde mir gestatten bei Ihnen über das und jenes nachzufragen was das Programm des Ganzen „der Anordnung“ u sw anbelangt. Ich hoffe, daß Sie mir Ihren Rat nicht vorenthalten werden.

Mit dem Ausdruck aufrichtigen collegialischen Grußes bin ich

Ihr

g. erg.

V. Jagić


1 Josef Konstantin Jireček (1854-1918), tschechischer Historiker und Slawist; auf Jagićs Initiative verließ er als ordentlicher Professor die Universität in Prag und kam auf die Universität Wien

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05042)