Vatroslav Ignaz Jagič an Hugo Schuchardt (63-05039)

von Vatroslav Ignaz Jagič

an Hugo Schuchardt

Wien

28. 07. 1900

language Deutsch

Schlagwörter: language Georgisch Leskien, August Graz

Zitiervorschlag: Vatroslav Ignaz Jagič an Hugo Schuchardt (63-05039). Wien, 28. 07. 1900. Hrsg. von Claudia Mayr und Helena Reimann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4792, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4792.


|1|

Wien 28. Juli 1900

Lieber Herr College!

Ich erinnere mich in der Jugend im kathol. Catechismus von den Sünden gegen den heil. Geist gelesen und gelernt zu haben. Ich habe zwar schon längst vergessen, was das für Sünden sind, aber eine wahrhaftige Sünde gegen d. h. Geist begingen Sie, als Sie uns in der Eigenschaft als Professor den Rücken kehrten. Allerdings bleiben Sie uns als Akademiker als – Hofrath eh erhalten, und doch bedauere ich, daß Sie aus der Grazer Facultät scheiden. Es sind dort, ich kann mich täuschen, nicht viel besonnene Elemente vorhanden, die den Muth haben nicht immer von der Fluth sich tragen zu lassen. Da wären Sie noch lange, lange sehr am Platz gewesen. Nun gehen Sie oder sind schon gegangen und gewähren mir nicht den Trost, daß auch Ihr jüngster Hofrath –|2| College mit geht. Es stand zwar das in den hiesigen Zeitungen und doch schweigt die alte Wiener Tante!

Ich werde, sobald mein Gehirn in die Lage kommt wieder zu funktionieren, mit Vergnügen Ihre verspätete Probevorlesung lesen. Boshaft wie Sie sind, haben Sie diese Abhandlung jetzt hinten an den ausgespannten Wagen angebunden! Der Gedanke ist aber hübsch. Auch ich gehe mit dem Plan um, zu meiner 40jährigen Feier als Schulfuchs (am 6. Juli 1861 war das erste Jahr meiner Schulmisere zu Ende) eine kleine Programmarbeit wieder abzudrucken. Für Sie als einen in allen Weltsprachen Kundigen wird Sie nicht verschlossen bleiben.

Vor zwei Wochen hielt sich hier rund zwei Tage der deutsche Generalconsul von Tiflis Dr. Oberg, den ich |3| von Belgrad her kenne, auf. Ich erfuhr von ihm, daß er fleißig grusinisch lernt und erwähnte ihm Ihr Interesse für die Sprache. Wäre es nicht so heiß gewesen, ich glaube, er würde nach Graz gereist sein, um Sie kennen zu lernen.

Es ist jedenfalls gut, daß wir das wissen. Er ist ein verkrachter Archaeolog und in der Diplomatie kehrt er gern den Gelehrten hervor. Er ist ein Studiengenosse Leskiens.

Mit vielen Grüßen, keinen Glückwünschen zum „Ruhestand“ bin ich Ihr

in alter Treue freundschaftl ergebenster

V. Jagić

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05039)