Vatroslav Ignaz Jagič an Hugo Schuchardt (56-05037)

von Vatroslav Ignaz Jagič

an Hugo Schuchardt

Wien

10. 12. 1899

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Wienlanguage Baskischlanguage Arabischlanguage Italienischlanguage Südslawische Sprachenlanguage Tschechischlanguage Polnisch Bartoli, Matteo Meyer-Lübke, Wilhelm Mussafia, Adolf

Zitiervorschlag: Vatroslav Ignaz Jagič an Hugo Schuchardt (56-05037). Wien, 10. 12. 1899. Hrsg. von Claudia Mayr und Helena Reimann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4790, abgerufen am 04. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4790.


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Wien 10. Dez. 1899
VIII. Kochgasse 15

Sehr geehrter Herr College!

Auch mir gefielen solche Benennungen wie vegliesanisch zum Unterschied von vegliotisch nicht. Ich machte Dr. Bartoli1 darauf aufmerksam, allein da ich voraussetze, daß er in solchen Dingen an Meyer-Lübke2 seinen Rathgeber hat – so wollte ich mich nicht weiter in diese Seite der Frage einmischen. Es hat der Bericht ohnehin viel Mühe gekostet, bis zwischen Mussafia3 & Bartoli eine Diagonale gefunden wurde. Beide Herrn sind sehr hartnäckig, was übrigens Mussafia |2| eher nachgesehen werden kann als dem jungen Gelehrten. Ich hatte ihm einige gegen Sie gerichteten Pfeile (mögen sie auch verdient sein) im Texte gestrichen, er brachte sie in der zweiten Correctur unter der Zeile in den Anmerkungen!

Ich werde dennoch von Ihrer Anregung wenn es gestattet ist, den entsprechenden Gebrauch machen. Uebrigens möchte Bartoli sein Werk italienisch schreiben. Es ist das eine principielle Frage, bei welcher es gut wäre auch Ihre Ansicht zu hören.

Der Ausdruck na krkače hat was die Wortbildung anbelangt, nichts auffallendes. Krkača (von krk = Hals, allerdings hauptsächlich in der alten Sprache, |3| die ja doch südslavisch war, jetzt nur noch boehm. & poln.) ist so gebildet wie zubača, krstača usw, es kann die Bedeutung der Hintertheil des Halses gehabt haben, wie hrptište, hrptenjača zu hrbat in Beziehung steht. Etwas auffallend ist die Wendung „na krkače“, man würde eher „na krkači“ oder „na krkaču“ (also im Singular) erwarten. Leider ist das akad. Wörterbuch bis Kr- noch nicht erschienen, da wird man erst sehen, ob für die Phrase andere Belege als dem Vuksche Wörterbuch vorliegen.

Hoffentlich hat Ihnen das Hartel-diner wohl bekommen! Man muß es ihm gönnen, die precäre Stellung hat etwas aufregendes. Übrigens steht er derzeit noch ausserhalb der |4| Schussweite der čech. Obstruction – man würde sich mit einem Opfer (des Justizministers) begnügen. Wenn ich einen Einfluß bei den deutschen Parteien hätte, ich würde auf dieses Opfer eingehen.

Mit vielen Grüßen

Ihr

ganz erg.

V. Jagić


1 Mateo Giulio Bartoli (1873 – 1946), italienischer Romanist und Dialektologe, beschäftigte sich mit Sprachgeographie und war Mitherausgeber der Zeitschrift Archivo Glottologico Italiano ; eines seiner wichtigsten Werke war die zweibändige Ausgabe über das Dalmatische (Bd.1: Romanische Dialektstudien: Das Dalmatische, Einleitung und Ethnographie Illyriens, Bd. 2: Romanische Dialektstudien: Das Dalmatische, Glossare und Texte - Grammatik und Lexikon)

2 Wilhelm Meyer-Lübke (1861 – 1936), Romanist, lehrte in Paris und Jena, ab 1890 in Wien, beschäftigte sich mit dem Indogermanischen, Baskischen, Arabischen etc. siehe auch in ÖBL

3 Adolf Mussafia (1835 – 1905), Romanist, Lehrbeauftragter für die Italienische Sprache an der Universität Wien, Wegbereiter der Wiener romanistischen Schule. Siehe auch in ÖBL

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05037)