Vatroslav Ignaz Jagič an Hugo Schuchardt (29-05031)
an Hugo Schuchardt
21. 04. 1891
Deutsch
Schlagwörter: Universität Graz Polen
Zitiervorschlag: Vatroslav Ignaz Jagič an Hugo Schuchardt (29-05031). Wien, 21. 04. 1891. Hrsg. von Claudia Mayr und Helena Reimann (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4784, abgerufen am 14. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4784.
Wien d. 21. April 1891
19/1 Hauptstraße 18
Sehr geehrter Herr Collega!
Vor allem danke ich Ihnen für die freundliche Vermittlung, die allerdings nur den halben Erfolg hatte. Ich begreife wirklich nicht, warum Prof. Kr. 1 auf der Beschränkung für das „Südslavische“ besteht, nachdem ich bei Dr. Ob gerade darin den ihn empfehlenden Vorzug erblicke, daß er möglichst viele slav. Sprachen in den Kreis seiner Untersuchungen zieht. Nur eine solche Allseitigkeit vermag den Forscher vor der Gefahr einer zu engen nationalen Auffassung der Dinge zu bewahren. Mir war selbst ein Oblak2 zu viel Slovene und Südslave und |2| würde es seine traurige Gesundheit erlaubt haben, so hätte ich ihn gern vor zwei Jahren nach Rußland und Polen, statt nach Macedonien geschickt. Nun kommt Prof. Kr. mit seinem Eigensinn und will das zerstören, was ich mit einiger Anstrengung zu Stande gebracht habe. Nach den gewiss übertriebenen Befürchtungen Oblak‘s soll auch der jetzigen Faßung seines Gesuchs eine Opposition in der Facultät bevorstehen. Ich glaube das nicht, falls nicht Prof. Kr. die ganze Angelegenheit aus den richtigen Geleisen bringt, durch seine Jeremiaden über die unbeachteten Ansprüche und Anrechte der Slovenen etc.
Doch jetzt komme ich zu einer anderen Angelegenheit. Sie werden hoffentlich nicht nur zu den akad. |3| Wahlen, sondern auch zum Philologentage erscheinen. Nun hören Sie! Nachdem dort mehrere Monate für die etwaige sprachwissenschaftliche Section nichts geschehen war, hat man zuletzt mir die Rolle eines vorläufigen Vermittlers anvertraut, d.h. ich soll durch Einladungen das Zustandekommen einer solchen Section befürworten und fördern. Im Interesse der guten Sache liess ich mich bereden und nun schreibe ich, seit gestern, an die hauptsächlichsten Vertreter der vergl. Sprachwissenschaft Einladungen und bitte nun möglichst bald zu folgenden Erklärungen sowohl bezüglich der Theilnahme als auch der Vorträge. Kann man auch auf Ihre Betheiligung rechnen? Ihnen, wenn auch Romanisten, steht ja die vergl. Sprachwissenschaft viel näher als mir als Slavisten!
|4|Wollten Sie nicht die Güte haben mir Ihren eventuellen Vortrag, dem Titel nach, anzukündigen? Für die vorläufige Aufstellung eines Arbeitsprogramms wäre es im hohen Grade wünschenswerth möglichst bald einen „Speisezettel“ zu besitzen!
Ich brauche‚ glaub‘ ich, nicht erst zu sagen, daß ich selbst mich nur als einen Nothbehelf betrachte, als einen provisorischen Retter aus der Noth, und sobald die event. Sectionsthätigkeit zu Stande kommt, ich meine Function für beendet erklären werde. Diese selbst soll sich das Bureau wählen.
Mit vielen collegialischen, herzlichen Grüßen
Ihr
g. erg.
V. Jagić
1 Gregor Krek (1840-1905), klassischer Philologe und Slawist, Professor an der Karl-Franzens-Universität Graz, Begründer der wissenschaftlichen Pflege der Slawistik in Graz; Hauptwerk: Einleitung in die Slavische Literaturgeschichte.
2 Vatroslav Oblak (1864 – 1896): slowenischer Slawist, Schüler Jagićs und von diesem gefördert und als Nachfolger auserkoren.