Louis Gauchat an Hugo Schuchardt (20-03612)

von Louis Gauchat

an Hugo Schuchardt

Zürich

24. 05. 1926

language Deutsch

Schlagwörter: language Deutschlanguage Niederländisch (Sri Lanka/Ceylon) Menéndez Pidal, Ramón Bridel, Philippe Schuchardt, Hugo (1925) Schuchardt, Hugo (1925)

Zitiervorschlag: Louis Gauchat an Hugo Schuchardt (20-03612). Zürich, 24. 05. 1926. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4745, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4745.


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Zürich 7, 24 Mai 1926

Lieber Kollege und Freund,

Das Erscheinen meiner „Festschrift“1, die mich zugleich erfreut und beschämt, erinnert mich daran, dass ich mir längst vorgenommen hatte, auf den lieben Brief zu antworten, den Sie mir zum 60ten Geburtstag schrieben. Vielleicht darf ich hoffen, dass Sie in mir weniger einen säumigen Schreiber sehen, als einen Mann, der mit grosser Zähigkeit jede freie Stunde dem Werke widmet, das ihm jede Freiheit raubt. Was Sie mir vor einigen Monaten schrieben, dass Sie hofften, das dritte Faszikel des Glossaire zu erleben, war das Schönste und Ermutigendste, was uns je gesagt wurde. Es wird Ihnen bald zugehen2, und ich hoffe, dass Sie noch viele erhalten werden, da ja, wie Ihre Widmung an Menéndez Pidal trostreich meldet3, das Herz Ihnen gesund blieb. Aber dieses dritte Heft hat wieder drei Menschen zehn Monate saurer Arbeit gekostet. Und die Aussicht, im Jahre zwei oder sogar drei Faszikel herauszubringen, schwindet immer mehr. Vielleicht ist das Werk zu breit angelegt, es ist jedenfalls zu minutiös vorbereitet worden. Uns Modernen fehlt |2| die naive Unvoreingenommenheit Ihres Grossonkels Bridel4, der sich nicht um „Vollständigkeit“ kümmerte, den wir oft auf mangelhafter Information und sogar auf romantischer Träumerei ertappen, der aber doch den Reiz der Dialekte in einer Zeit entdeckte, wo es noch längst keine Dialektologie gab.

Ich wollte Ihnen auch für das prachtvolle Curriculum danken, das Sie sich und uns in Ihrem „Individualismus in der Sprachforschung“ schenkten.5 Es zündet in Ihr Werk hinein, wie eine helle Fackel, mahnt aber uns Andere mit vollem Recht zur Bescheidenheit.

Mit besten Wünschen und herzlichem Gruss

Ihr getreuer

L. Gauchat


1 Festschrift Louis Gauchat: [Zu s. 60. Geburtstage als Ausdruck ihrer Dankbarkeit u. Verehrung der Freunde und Schüler aus der Schweiz; 12. Jan. 1926], Aarau 1926.

2 Das erste Faszikel war 1924 erschienen.

3An Don Ramón Menéndez Pidal [Geleit-Gedicht], Graz 29 Oktober 1923“, Str. III, 6.

4 Vgl. oben Brief Lfd.Nr. 05-03597.

5 Der Individualismus in der Sprachforschung, Sb. d. Wien. Ak. 204/2, 1925, 1-21.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 03612)