Julius Pokorny an Hugo Schuchardt (02-08965)
von Julius Pokorny
an Hugo Schuchardt
22. 10. 1917
Deutsch
Schlagwörter: Sprachverwandtschaft
Zitiervorschlag: Julius Pokorny an Hugo Schuchardt (02-08965). Wien, 22. 10. 1917. Hrsg. von Bernhard Hurch (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4720, abgerufen am 02. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4720.
Wien IV Mayerhofgasse 1
d. 22. Okt. 17.
Sehr verehrter Herr Hofrat,
Für die freundliche Zusendung Ihrer „Sprachverwandtschaft”, die ich erst in den letzten Tagen genauer durchnehmen konnte, danke ich Ihnen bestens. Gerade für die Probleme, die mich am meisten interessieren, sind Ihre Ausführungen von großer Bedeutung. Zu dem Hettitischen mache ich Sie auf Hüsings scharfe Kritik in einer langen Anmerkung seiner „Völkerschichten in Iran” (Wiener Anthropol. Ges. 1916)1 aufmerksam. |2| Es scheint, daß Hroznýs Lesungen2 sehr anzuzweifeln sind – bedeutet doch ein Zeichen in jener Keilschrift oft 4 ganz verschiedene Silben – und daß er die Sache nach vorgefaßter Absicht konstruiert hat: Die angeblich idg. Dinge stehen mit dem übrigen Texte in derartigem Widerspruche, daß schon das allein jene verdächtig machen muß. Sobald H. die Texte veröffentlicht haben wird, wird man erst ein sicheres Urteil fällen können. Es ist jedenfalls merkwürdig, eine so wichtige Sache als erwiesen auszuposaunen, ohne gleichzeitig eine Prüfung der Wahrheit zu ermöglichen.
|3| Die von Ihnen aufgeworfenen Probleme sind ungemein schwierig; schließlich sind alle Begriffe von Sprachverwandtschaft relativ zu fassen. Ich will mir Ihre Warnungen jedenfalls angelegen sein lassen.
Mit nochmals bestem Dank und achtungsvollen Grüßen
Ihr sehr ergebener
J. Pokorny
1 Hüsing (1916).
2 Pokorny bezieht sich wahrscheinlich auf Hrozný (1917).