Ernst Tappolet an Hugo Schuchardt (11-11566)

von Ernst Tappolet

an Hugo Schuchardt

Basel

05. 04. 1917

language Deutsch

Zitiervorschlag: Ernst Tappolet an Hugo Schuchardt (11-11566). Basel, 05. 04. 1917. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4715, abgerufen am 25. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4715.


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Basel 5 April 17

Hochverehrter Herr Professor

Endlich komm ich dazu, Ihnen für die reiche Anregung zu danken, die mir Ihre drei letzten Schriften1, die Sie die Güte hatten mir zu senden, geboten haben. So verschiedenartig sie sind, sie haben alle drei das Erfrischende gemeinsam, dass die eigentliche Untersuchung jeweilen zu Beginn und am Ende wieder von methodischen Erwägungen und Ausblicken umrahmt ist, die den Stoff zur besseren Beleuchtung gewissermassen in die Höhe heben. Von der klugen Anregung des einzulegenden Blattes, von dem Sie zu Beginn Ihrer Kritik de Saussure’s reden 2, möchte [ich] mit so viel Nachdruck als ich mir erlauben darf, wünschen, dass Sie nicht versäumen, sie auf sich selber anzuwenden.3 Gern würde ich sagen: ,Sie schulden mir ein solches Glaubensbekenntnis‘, wenn mir der Ton der Forderung zustehen würde. – Besonders lebhaft hat mich hat mich Ihre onomasiologische Studie über Milz interessiert. Mein Erstes war ein Gang zum Metzger; was ich da sah |2| – eine längliche runde nur 1 cm dicke vorwiegend rötliche Schnitte Fleisch von einem Kalb – liess die Vorstellung ,Maus, Ratte‘ durchaus nicht in mir aufkommen4, viel eher die von ,Band, Klinge, Zunge‘. Bei einem Schnitt war allerdings vom Gewebe nicht viel zu sehen, doch sei das bei anderen Tieren deutlicher. Ihr neues Bedenken teile ich auch. Vielleicht gäbe die kranke Milz weiteren Aufschluss. Den romanisch[en] Wechsel e : ì würde ich lieber lautlich erklären vgl. neuenb. šnits neben šnets = Schnitz (s. meine Alem. Lehnwörter I § 29,4)5.

Mit ergebenen Grüssen Ihr
E. TappoletGruß und Unterschrift auf S. 1 der PK.


1 Vermutlich „Zu den romanischen Benennungen der Milz“, SB d. Kgl. Preuss. Akad. d.  Wiss. zu Berlin 8, 1917, 156-170; „ Sprachverwandtschaft“, ebd., 518-529.

2 Schuchardt beginnt seine Besprechung von Saussures Cours de linguistique générale mit der folgenden Bemerkung: „Wie der Doktorand verpflichtet ist seiner Abhandlung einen ,Lebenslauf‘ beizulegen, so sollte der Forscher in der Reife seiner Kraft zwischen seine Fachschriften ein Blatt einlegen auf dem in grossen glatten Zügen ein Glaubensbekenntnis stünde. Ich meine natürlich das wissenschaftliche; dieses entspringt ja schliesslich auch aus irgend einer geheimnisvollen Quelle, möge sie Determinismus oder Indeterminismus, Psychologismus oder Logismus oder wie immer heißen“.

3 Dies leistet z.B. Schuchardts Beitrag „Der Individualismus in der Sprachforschung“, Sb. d. Wien. Ak. 204/2, 1925, 1-21.

4Zu den romanischen Benennungen der Milz“ (s.o.), 164f.

5 Basel 1913/14; II 1916/17.

6 Gruß und Unterschrift auf S. 1 der PK.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11566)