Julius Pokorny an Hugo Schuchardt (01-08964)

von Julius Pokorny

an Hugo Schuchardt

Wien

01. 03. 1917

language Deutsch

Schlagwörter: Publikationsversand Keltistik Baskische Studien Mittheilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien Zeitschrift für celtische Philologielanguage Keltische Sprachen Spanien

Zitiervorschlag: Julius Pokorny an Hugo Schuchardt (01-08964). Wien, 01. 03. 1917. Hrsg. von Bernhard Hurch (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4704, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4704.


|1|

Wien IV Mayerhofgasse 1
d. 1./3. 17.

Sehr verehrter Herr Professor,

Da mich meine keltischen Studien nötigen, mich eingehender mit der Urbevölkerung Westeuropas zu befassen, erlaube ich mir, an Sie die ergebene Bitte zu richten, mir in einigen Punkten Ihren gesch. wissenschaftl. Rat zu erteilen. Für die Iberer habe ich selbst Material gesammelt, es fehlt mir aber die Zeit, dasselbe für die Ligurer zu tun, und da ich vorläufig zur Fassung eines Urteils genötigt bin, möchte ich, wenn es Ihre Zeit erlaubt, Sie um die Beantwortung folgender Fragen bitten:

1.) Nach Déchelette1 sind Ligurer westlich der Rhône archäologisch nicht nachzuweisen. Halten Sie das auch vom sprachl. Standpunkt aus für richtig? Was ist Ihre persönl. Ansicht über angebliche Ligurer in Spanien und Westfrankreich, den Ligustinus Lacus u. ähnliches?2 nicht |2| gegenüber Schulten3 recht haben?

2.) Können Sie mir eine einwandfreie, wenn auch kurze Abhandlung über die Ligurer nennen? Prof. Kretschmer behauptet, es gäbe eine solche nicht.

3.) Halten Sie an der Ansicht fest, daß Durius, Turius, etc. ligurisch sein müsse?

Ich weiß, daß meine Fragen nicht leicht zu beantworten sind, aber Sie haben sich gewiß über diese Dinge im Laufe vieler Jahre ein besseres Urteil bilden können, als mir innerhalb der kurzen Zeit, die ich den Ligurern widmen kann, möglich wäre.

Mein oberflächlicher persönlicher Eindruck ist, daß die Ligurer tatsächlich nicht sehr weit nach Westen gekommen wären; nur einige Dinge, wie der Ligustinus Lacus (=Libustinus?), |3| Durius, λέσϑρος, machen mir Bedenken.

Zum Schlusse möchte ich mir noch die Bitte gestatten, falls Sie noch überflüssige Separata Ihrer Arbeiten über Baskisches, Iberisches und Afrikanisches besitzen, mir dieselben gütigst zu überlassen. Ich besitze von Ihren Arbeiten nur den Aufsatz aus den Mitteil. der Anthrop. Gesellsch. Sollten Sie K.Z. oder die Zeitschr. f. kelt. Philologie nicht abonniert haben, so würde ich mich gerne revanchieren, ebenso, wenn Sie für irische moderne Geschichte Interesse haben.

Darf ich Sie bei der Gelegenheit gleich anfragen, ob Sie ältere Jahrgänge (1904-9) der Claidheamh Soluis4 oder die Schriften |4| von Pádraic Ó Conaire5 besitzen, oder ob Sie vielleicht wissen, wo man dieselben auftreiben könnte? In Deutschland habe ich überall vergeblich mein Glück versucht.

In der Hoffnung, Sie nicht allzu sehr mit meinen Fragen belästigt zu haben,

verbleibe ich hochachtungsvoll

Ihr sehr ergebener

Julius Pokorny


1 Déchelette (1908-1910).

2 Bezeichnung für die Lagune Nahe der Mündung des Guadalquivir in Südwestspanien. Siedlungsgebiet der Tartesser.

3 Philipon (1909).

4 Schulten (1914).

5 Irisch-nationalistische Zeitung des frühen 20. Jhdts.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 08964)