Herbert Steiner an Hugo Schuchardt (39-11262)
von Herbert Steiner
an Hugo Schuchardt
30. 08. 1922
Deutsch
Schlagwörter: Neue Zürcher Zeitung Hubschmied, Johannes Ulrich Spitzer, Leo Abegg, Emil Gauchat, Louis Lacombe, Georges Meillet, Antoine Pogatscher, Alois Rhodokanakis, Nikolaus Spitzer, Hugo Balassa, József Österreich Schuchardt, Hugo (1898) Meillet, Antoine (1921) Urtel, Hermann (1919)
Zitiervorschlag: Herbert Steiner an Hugo Schuchardt (39-11262). Zürich, 30. 08. 1922. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4687, abgerufen am 22. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4687.
30.8.22 Zürich 7 Schönleinstr. 22 (bei Krebs)
Hochverehrter Herr Hofrat!
Erst heute herzlichen Dank für Ihre Karte v. 19.7.!
Ich habe gestern Hubschmied getroffen, der dankbar und glücklich aus Österreich und vor allem von Ihnen zurückkam und von Ihrem Ergehen berichtete.
Ich komme heute mit Miszellen und Postillen:
Soviel ich sehe, hat auch Spitzer Ihre Anzeige des Supplements von Vinsons Bibliographie, Lb 1898, übersehen.1
Das Referat über Abeggs Vortrag war, wie ich Ihnen wohl schon schrieb, ungenau, z.T. falsch. Gauchat hatte sich in der Diskussion niemals im angegebenen Sinne geäussert.
Lacombe hat mir sehr liebenswürdig geschrieben. Ich versorge ihn nach Möglichkeit mit Schuchardtianis, d.h. mit Festartikeln. Ich habe erst |2| hier den Wartburgschen entdeckt2 und bin neugierig auf den Steigerschen, den mir Lacombe erwähnt, der aber hier noch nicht aufliegt.3
Die Basken konnte ich leider nicht mehr erwischen.
Meillets Aufsatzband hoffe ich anzuzeigen4, ein kleiner literarhistorisch-mystischer Aufsatz soll (in verdeckter Art) auf den, auch in der Literaturgeschichte waltenden Begriff der elementaren Verwandtschaft hinweisen.5
Ich habe leider den Zettel nicht wiederfinden können, auf dem ich notierte, warum ich Ihnen melden wollte, dass „Büsi“ in der deutschen Schweiz der Rufname für Katzen ist.
Kennen Sie das schweizerdeutsche Doppelwort „Krausi-Mausi“ („Krusi-Musi“ usw.), ich fand es in Gotthelf und konnte leider nicht nachsehen, ob Sie es zu den andern reihten? (z.B. „alles ist Krusi-Musi durcheinander“).
|3|2) Ich lege eine Miszelle aus der N.Z.Z. bei, die Sie vielleicht interessiert.
Eben erhalte ich die (nicht klaren) Maschinenabschriften meines Artikels aus ZR. Gibt es wen, dem Sie gerne eine zugesandt wüssten? Etwa Prof. Pogatscher oder Rhodokanakis?6 (Hugo Spitzer und Wilhelm Fischer7, die ich lange kenne, erhalten welche.) Ich frage nicht aus töricher Eitelkeit; vielleicht macht’s wem Freude. Papier und andere Not erklären meine Frage.
Schliesslich einen Satz aus Gotthelf, der die heutige Philologie herrlich zeichnet:
„Die einen werden in Niederungen abgesetzt, wo sie keinen freien Blick haben, sondern nur anschauen und auffassen, was die Fluten an ihnen vorüberführen, während andere auf Hügel getragen werden, wo sie weite Umschau haben, schauen können, was sie wollen, und ein sicheres Urteil sich bilden in den Vergleichen des Vielerlei über jedes einzelne“.8
|4|Da alle Korrespondenz von Götzis nachgeschickt wird, erreichen Sie mich auch dort. Ich hoffe, noch eine Weile hierzubleiben.
Heute nur soviel und immer zu dankbaren Grüssen und Wünschen alle herzliche Ergebenheit, hochverehrter Herr Hofrat,
Ihres
Herbert Steiner.
Welches ist Balassas Adresse? Ich wollte ihm die kleine Anzeige aus der N.Z.Z. schicken.9
1 „Anzeige von: J. Vinson, Essai d’une Bibliographie de la langue basque. Ouvrage couronné par l’Institut. Additions et corrections – Citations et références – Journaux et revues“, LB f. germ. u. rom. Philologie 19, 1898, 198-199.
2 Vgl. Anm. 4 zu Lfd. Nr. 37-11260.
3 Die Publikationsliste Arnald Steigers in VRom 15, 1956, 9f. weist einen solchen Artikel nicht nach.
4 Nicht nachgewiesen; möglicherweise handelt es sich um Antoine Meillet, Linguistique historique et linguistique générale, Paris 1921.
5 Nicht nachgewiesen, aber vgl. seinen Artikel zu Schuchardts 80. Geburtstag (Anm. 22), wo es heißt: „Die menschliche Sprache in ihrer Gesamtheit bildet eine Einheit, ein Kontinuum, unendlich abgestuft, in dem der Begriff der Entlehnung zurücktritt vor dem der elementaren Verwandtschaft“ (2). Vgl. dazu wie auch zu den „Doppelwörteren“ Schuchardts „Anzeige von: H. Urtel, Zur baskischen Onomatopoesis“, LB f germ. u. rom. Philologie 40, 1919, 397-406.
6 Nikolaus Rhodokanakis (1876-1945), Orientalist.
7 Hugo Spitzer (1854-1937), Philosophieprofessor in Graz; Wilhelm Fischer (1846-1932), seit 1901 Direktor der Steierischen Landesbibliothek; er widmete sich nach seiner Pensionierung 1919 verstärkt der Schriftstellerei.
8 Gotthelf, Uli der Knecht, Naunhof u. Leipzig 1939, 720-721.
9 Schuchardt und Spitzer schrieben an die Adresse des Magyar Nyelvör in Budapest, Budapest VIII., Múzeum krt. 4/A 1088.