Herbert Steiner an Hugo Schuchardt (37-11260)
von Herbert Steiner
an Hugo Schuchardt
05. 07. 1922
Deutsch
Schlagwörter: Vulgärlatein Rumänisch Romansch Spanisch Katalanisch Portugiesisch Jud, Jakob Gauchat, Louis Hubschmied, Johannes Ulrich Cornu, Julius Pogatscher, Alois Wartburg, Walter von Abegg, Emil Graz Steiner, Herbert (1922)
Zitiervorschlag: Herbert Steiner an Hugo Schuchardt (37-11260). Zürich, 05. 07. 1922. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4685, abgerufen am 08. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4685.
Zürich 7 Schönleinstr. 22 bei Krebs
(Götzis, Vorarlbg.)
5-7-22
Hochverehrter Herr Hofrat!
Meine Karte haben Sie hoffentlich erhalten. Ich lege nun zwei Früchte dieser Tage bei: den Bericht über Juds Antrittsvorlesung1 und eine kleine, höchst allgemein gehaltene, unfachliche Anzeige des Breviers, die Sie hoffentlich nicht zu bedenklich ansehen werden.1
Mein Aufenthalt hier steht ganz unter Ihrem Stern: ich habe jetzt endlich fast alle Ihre Schriften beisammen und gehe demnächst an Ausarbeitung und Abschluss meiner Arbeit, d.h. ich komme wohl bald mit einer Reihe von Fragen zu Ihnen. Ferner: Alle hier fragen nach Ihnen und Ihrem Ergehen: Gauchat, Jud, der treue Hubschmied, bei dem ich einen sehr schönen |2| fachsimpelnden Abend verbrachte. Ein Kuvert Rara et Remota, das ich mitbrachte, (Ihr Gedicht an Pross, die 1912er und 22er Artikel über Sie: Cornu, Pogatscher usw.) wandert von Hand zu Hand.3 (Übrigens entdeckte ich Wartburgs Artikel im Sonntagsblatt des Bund4 – er hat es Ihnen natürlich geschickt?) – Gauchat sprach mir von dem Entzücken, mit der [recte: dem] er Ihre letzten Berliner Akademieschriften aufgenommen habe: er sei Ihre Wege freudig mitgewandert. – Abegg, der Dozent für Indologie und vergleichende Sprachgeschichte, schickt Ihnen hoffentlich dieser Tage ein Separatum seines schönen Aufsatz über Humboldt und die Sprachwissenschaft (Neue Jahrbücher 1921)5, das auch der „Sprachverwandtschaft“ gedenkt. Ein langes Gespräch, das ich mit diesem Manne von sehr ausgebreitetem Wissen |3| hatte, verdanke ich auch Ihnen und so darf ich diesen Dank gleich abstatten. –
Ich will noch schnell über eine Feier zu Ehren von Juds Ernennung berichten, die vom hiesigen Seminar in einer alten Kneipe veranstaltet wurde. Es wurden Reden gehalten in allen Farben und Sprachen: zwei vulgärlateinische, eine rumänische, eine romantsche, eine spanische und eine catalanische, eine portugiesische usw – Jud gedachte in seinen Dankesworten der verstorbenen Mitglieder des Seminars, an erster Stelle Nedweds6. Gauchat hielt eine entzückende kleine Rede über seine Anfänge als Dozent, über die Schwierigkeiten, die Juds Ernennung vorausgehen mussten. Durch alles klang der Dank der Studenten für Juds stete Hilfsbereitschaft und rührende Mitarbeit |4| mit jedem Einzelnen. –
Ich sehe eben beim Überlesen, dass ein Missverständnis möglich wäre und will es gar nicht aufkommen lassen: der Bericht über Juds Vorlesung ist natürlich nicht von mir. –
Ich habe in einem Ihrer Aufsätze in ZR den Ausdruck „etwas in Waghals nehmen“ gefunden (leider habe ich Band und Seite nicht wiederfinden können), es dürfte um die Zeit der Nyozza-Polemik oder um 1900 sein7, den auch Hubschmied nicht kennt. Habe ich falsch gelesen? Ist es ein mitteldeutscher Ausdruck?
Vergeben Sie, hochverehrter Herr Hofrat, die Flüchtigkeit und gejagte Schrift dieser Seiten. Hoffentlich spüren Sie in Graz nichts vom Föhn, der hier schon einige Tage anhält, und sind trotz der Wärme wohl genug, um den Garten zu geniessen.
Mit dankbaren Grüssen herzlich ergebenst
Ihr
Herbert Steiner.
1 Jud, „Zur Geschichte zweier französischer Rechtsausdrücke“, Zeitschrift für schweizerische Geschichte 2, 1922, 412-459; Anm. 1: „Als Antrittsvorlesung am 10. Juni 1922 gehalten. Der Text, mit Ausnahme der Einleitung und des Schlusses, ist gleich geblieben. Im Anschluß an den Text füge ich kurze Hinweise auf die Literatur bei und einen sprachgeschichtlich-sachlichen Exkurs über vercaria – verchère, das bis heute ungedeutet war“.
1 Steiner, NZZ 2.7.1922 (HSA, Sammlungen, 2.1.59.1.)
3 Vgl. Anm. 4 zu Lfd. Nr. 36-12259.
4 Der Kleine Bund, Sonntagsbeilage 12.2.1922, 41-43 (zu Schuchardts 80. Geburtstag) .
5 Emil Abegg, „Wilhelm von Humboldt und die Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft“, Neue Jahrbücher 47, 1921, 62-75.
6 Der Romanist Walter Nedwed, der auch in Graz studiert hatte, war vermutlich 1916 gefallen; vgl. seine Briefe an Schuchardt (HSA, Bibl. Nr. 07732-07746).
7 Zitat nicht nachgewiesen.