Paul Heyse an Hugo Schuchardt (08-04721)

von Paul Heyse

an Hugo Schuchardt

Miesbach

Unbekannt

language Deutsch

Zitiervorschlag: Paul Heyse an Hugo Schuchardt (08-04721). Miesbach. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4644, abgerufen am 16. 07. 2025. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4644.


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Meinen Freunden
nach dem 15. März 1900

Wer siebzig Jahre die Welt gesehn,
Dem ist viel Liebes und Leids geschehn,
Und ist er nur ein kluger Mann,
Der Eins ins Andre rechnen kann,
So dankter froh beim Rechnungsschluß,
Bleibt noch des Guten ein Ueberschuß.

Doch wenn auf einmal Abends spät
Sein Himmel hell im Glanze steht,
VonLieb‘ und Ehr‘ ein Ueberschwang
Sein Herz bestürmt mit freud’gem Drang,
Rührung ihn stumm zu machen droht –
Da sieht er sich in großer Noth.
Wiesoll er danken allzumal
Für Wünsch‘ und Gaben ohne Zahl,
Wie Jedem der vonfern ihn grüßt,
Erwiedern, wie er möchte‘ und müßt‘?

Ein Weilchen steht er schier verzagt,
Dann faßt er sich ein Herz und sagt:
Fürwahr, ‘s ist wunderlich bestellt
Um den bekannten „Lohn der Welt“.
Dubist wohl oft leer ausgegangen,
Gabst manchmal mehr als du empfangen,
Nungrüble nicht, ob du’s auch werth,
Daß man so überreich dich ehrt.
Doch ihr,die ihr mit Freundesblicke,
Betrachtet, was ich lebt‘ und schrieb,
Nehmtmit dem Händedruck vorlieb,
Den ich euch warm vom Süden schicke!

Gardone am Gardasee.

Paul Heyse1


1 Gedichtsonderdruck,an Heyses Freunde und Bekannte verschickt; Unterschrifthandschriftlich.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04721)