Paul Heyse an Hugo Schuchardt (03-04719)

von Paul Heyse

an Hugo Schuchardt

München

23. 07. 1887

language Deutsch

Schlagwörter: language Baskisch Bad Alexandersbad München Schuchardt, Hugo (1923) Linschmann, Theodor/Schuchardt, Hugo (1900) Schuchardt, Hugo (1887)

Zitiervorschlag: Paul Heyse an Hugo Schuchardt (03-04719). München, 23. 07. 1887. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4642, abgerufen am 24. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4642.


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[München, 23.7.1887]1

Das hätte ich mir nicht träumen lassen, werther Freund, als ich gizon batec cituen bi seme eta hetaric gartenac … (Sie werden über die Schnitzer den Kopf schütteln) 2 bei dem alten Mahn3 buchstabirte, daß ich meiner Laurella4 noch einmal baskisch begegnen würde!5

Schon daß Sie mir versprachen, mir einmal provenzalisch zu kommen, erschien mir märchenhaft und ich denke gar nicht daran, Sie beim Wort zu nehmen. Und die Bericht[e] über Ihre neuesten Fahrten und Abenteuer dürfen Sie uns nicht schuldig bleiben, Sie Ungeheuerster, der Sie die mezzophantastischsten Eroberungen weit hinter sich lassen. Inzwischen bin ich sehr kleinlaut von meiner Romfahrt heimgekehrt, da meine Frau in Brixen schwer erkrankte6 und wir uns nur schlechtgeflickt in den Hafen retten konnten. Sagen Sie mir noch einmal, wie es mit Ihrer Gesundheit steht, ob Sie all jene Anstrengungen, die Sie damals nach Alexandersbad geführt, siegreich überwunden haben. Ich wünschte es so herzlich. Vielleicht führt Ihr Heimweg Sie über München. Wir werden in Miesbach zu finden sein.

Mit bestem Gruß Ihr
P.H.

M. 23.VII.87

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1 Wie die Adresse ausweist, hielt sich Schuchardt bei B. Goyetche, dem Bürgermeister von Sare (heute Pyrénées Atlantiques) auf, vgl. den Brief an seine Mutter Malwine vom 29.7.1887 (HSA, Lfd.Nr. 09-10328).

2 Das Zitat ist der Anfang des Gleichnisses „Vom Verlorenen Sohn“ (Lk. 15, 11): „Ein Mensch hatte zwei Söhne, und der Jüngere …“ (vermutlich nach der Leiçarraga-Übersetzung). Schuchardt verwendet das Zitat Jahrzehnte später (1923) in seinen Primitiae Linguae Vasconum; es kommt auch in der Leiçarraga-Edition von 1900 [Schuchardt & Linschmann] vor, dort jedoch  unkommentiert. Wenn Heyse es bei Mahn gelernt hat, dann hat dieser es von Wilhelm v. Humboldt, von dem es ein paar Seiten  kommentierte Edition des „Verlorenen Sohnes“ gibt. Fehlerhaft ist nur die Form gartenac statt gaztenac (Freundl. Auskunft von Bernhard Hurch). – Schuchardt hatte Heyse vermutlich einen Sonderdruck von „Romano-baskisches I“, ZrP 11, 1887, 474-512, geschickt.

3 Über seine Studienzeit und die Doktorprüfung berichtet Heyse in seinen Jugenderinnerungen: „Ich studierte die Provenzalen privatissime bei Mahn, dem Einzigen, der in Berlin in ihrer Sprache und Literatur zu Hause war, daneben sogar ein wenig Baskisch, von dem auch er nur die Anfangsgründe sich zu eigen gemacht hatte. Auch hörte ich über spanisches Theater bei V. A. Huber, dessen geistvolle Vorträge mich mehr anregten als die fleißige, aber ziemlich kritiklose Geschichte des spanischen Theaters von Adolf Friedrich von Schack“ (107-108). In der Doktorprüfung wurde er von Immanuel Bekker, der seine Dissertation sehr günstig beurteilt hatte, ausschließlich in romanischer Grammatik examiniert, „die ich nur so weit studiert hatte, als zum Verständnis der Werke nothwendig war. – Noch jetzt, wenn manchmal in Angstträumen jene Stunde in meiner Erinnerung auflebt, wenn ich die scharfen, trockenen Augen des kleinen Mannes auf mich gerichtet sehe und gewisse Fragen wieder höre, auf die ich verstummte oder eine verkehrte Antwort gab, fühle ich beim Erwachen, daß mir Mörike’s ,examinalischer Schweiß‘ auf die Stirne getreten ist“ (109).

4 Laurella ist die Protagonistin von Heyses Novelle „L’Arrabbiata“ vom Jahr 1853. Analogien mit dem „Verlorenen Sohn“ sind nicht evident, aber vielleicht will Heyse nur an die Zeit erinnern, als er die Novelle schrieb und zeitgleich bei Mahn Baskisch trieb.

5 Das nachfolgende „mezzophantastisch“ könnte sich auf den Doppelaspekt des „halb“ Romanischen, „halb“ Baskischen beziehen.

6 Heyse (2.6.1887) an Storm aus Brixen: „Dazu kommt das meine Liebste […] heute wieder etwas Blut gehustet hat, so daß sie sich sehr still verhalten muß, um am Sonntag die Heimreise wagen zu können“ ( Theodor Storm / Paul Heyse, Briefwechsel >. Kritische Ausg., hrsg. v. Clifford Albrecht Bernd, III. Bd., 1882-1888, 1974, 151-152, Brief 244).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04719)