Hugo Schuchardt an Bogdan Petriceicu Hasdeu (44-1182)

von Hugo Schuchardt

an Bogdan Petriceicu Hasdeu

Graz

27. 05. 1878

language Deutsch

Schlagwörter: Zeitschrift für romanische Philologie Picot, Émile Niemeyer, Maximilian David Caix, Napoleone

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Bogdan Petriceicu Hasdeu (44-1182). Graz, 27. 05. 1878. Hrsg. von Bruno Mazzoni (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4565, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4565.


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Graz 27. Mai 1878.

Verehrter Freund!

Nicht eher konnte ich Ihnen das Manuskript wiederschicken, als heute. Ich war unwohl, hatte sehr viel Anderes zu thun, musste das Ganze abschreiben lassen, um es Ihren Setzern leichter zu machen (wobei freilich meiner Durchsicht mancher Unsinn entgangen sein mag). Ich habe Einiges gestrichen, Anderes zugesetzt, etwa an drei Dutzend Stellen, wie Sie an den rothen Kreuzchen wahrnehmen können und zwar habe ich mich zu diesen Zusätzen meistens durch Ihre Bemerkungen veranlasst gesehen; die Mehrzahl sind in Ihrem Sinne, andere allerdings sollen meine Ansicht schätzen und befestigen. In Bezug auf die Zusätze wäre ich gern noch weiter gegangen (Kumanisches - Stoffnamen - Wasserzeichen u.s.w.1) aber erstens lag Einiges davon dem Romanisten, Anderes sogar dem Linguisten zu fern; zweitens verstand ich von der Sache nicht genug, drittens gelang es mir nicht, die Stellen zu finden, wo ich, ohne grössere Veränderungen vorzunehmen oder den Fluss und Zusammenhang in störender Weise zu unterbrechen, jene Zusätze hätte anbringen können. Vor Allem aber — und dies ist der triftigste Grund — hatte ich keine Zeit für Änderungen, die sich nicht im Nu und beiläufig erledigen liessen. Also, bitte, drucken Sie nun Alles wie es ist und schicken Sie mir möglichst bald den Fahnenabzug zu; abgesehen von solchen Dingen, über die wir verschiedener Meinung sind, werden sich in meiner Arbeit auch solche Irrthümer befinden, die auf der Unzulänglichkeit meines grammatikalischen und lexikalischen Materials beruhen. Zum Schlusse möchte ich Ihnen noch Folgendes zu Gemüthe führen. Ich sage in der Vorrede Manches, was Ihnen unliebsam ist. Dass ich das nicht aus Mangel an Wohlwollen gegen Sie gethan habe dessen habe ich Sie schon versichert; es ist meine Eigenthümlichkeit wenn ich an die Prüfung einer wissenschaftlichen Arbeit gehe, allen Bedenken und Bemerkungen, die mir dabei kommen, Ausdruck zu geben. In dieser Beziehung verstehe ich das Schweigen durchaus nicht. Aber ich verfahre ganz unbefangen dabei; ich suche nicht, wie Sie mir Schuld gegeben haben. Bei Ihnen kann nun, da Sie angegriffen sind, (ich wähle gleich den stärkesten Ausdruck) eine solche Unbefangenheit nicht mehr bestehen; es muss Ihnen daran liegen die Aufstellungen, die Sie einmal gemacht, à tout prix zu vertheidigen und zu retten. Und so kommen Sie dazu

1) hinterher Dinge zu bemerken (wahrscheinlich auch erst zu finden), welche Sie bei der Gründlichkeit, mit der Sie verfahren, durchaus hätten vorher bemerken müssen. Es ist sehr leicht möglich, dass Sie jetzt Thatsachen gegen gewisse meiner Einwendungen vorbringen, welche dieselben widerlegen. Immerhin werden meine Einwendungen gerechtfertigt sein, insofern sie sich nur auf das beziehen, was im Buche zu lesen steht,

2) lassen Sie sich von dem Widerspruchsgeist zu weit fortreissen. V = ll in măduvă piuă hatten Sie ohne Weiteres angenommen und mich dabei citirt; jetzt meinen Sie ll sei in măduvă durch Einfluss des u geschwunden (würde aus medura măduvă geworden sein?), in stavă erblicken Sie Einfluss eines slawischen Wortes (würde aus stară durch Einfluss eines slaw. Wortes stavă geworden sein) und vom dritten Worte reden Sie gar nicht2. Mein luneca = lubricare gefällt Ihnen nicht. Sie sagen n entsteht einzig und allein aus r, wenn ein n dabei steht, also durch Assimilation (cunună, fanină u.s.w.) und dann fahren Sie fort: daher kann auch in suspina = suspirare n nur aus dem folgenden r erklärt werden. Aber das ist ja ein geradezu entgegengesetzter Fall; dort n + n = r + n assim., hier n + r = r + r dissim.3 Aber, als Sie S. 247 viezune und suspin zusammenstellten hatten Sie diese Ansicht noch nicht einmal4. U.s.w.

Wenn Sie also "zur Verständigung" schreiben wollen, so seien Sie vorsichtig5; ich bemerke dies um Ihretwillen, Sie brauchen auf mich keine besondere Rücksicht zu nehmen. Sie wollen meine Vorrede als "Kritik" bezeichnen6; ich habe Nichts dagegen. Einen Gegensatz zu " Einleitung" bildet der Ausdruck nicht, weniger befremden würde es vielleicht, wenn Sie Kritische Einleitung schrieben, um ihren Unterschied von denen à la Benfey u.s.w. gleich hervorzuheben7. Ihr besonderer Titel: "Über Hasdeu’s A. T. u. Gl. von Sch." übergeht in geschicktester Weise den ganzen Streitpunkt.

Noch Eines. Sie wissen, dass ich Ihre Animosität gegen Cihac, Picot u. A. nie völlig gebilligt habe8. In meinem Vorwort kam es mir darauf an, den Schein vollkommenster Unparteilichkeit zu wahren. Nachdem ich Cihac wegen seiner Etymologieen ziemlich herb behandelt habe, habe ich ihm einmal, bezüglich von măruntaĭe, Ihnen gegenüber Recht gegeben9. Sie beschweren sich, dass ich da Cihac genannt habe, an einer anderen Stelle aber (ich kann sie nicht finden), wo ich Ihnen Recht gäbe, Cihac nicht genannt habe10. Die Sache scheint mir doch gar zu unbedeutend. Seien Sie nachsichtiger; bedenken Sie dass Sie in Ihrer Istoria critică11 auch, besonders in Bezug auf das Keltische, einige sehr starke Versehen begangen haben, z.B. das, argoed, argel mit arx zusammenzustellen während doch ar eine Praeposition wie unser er ist und die Zusammensetzungen ar + coed, ar + cel vorliegen.

Auch in Bezug auf den beabsichtigten Artikel über Armenisch und Rumänisch in Gröber’s Zeitschrift12 bin ich nicht ganz mit Ihnen einverstanden. Warum streuen Sie Ihre Studien über die vorrömischen Bestandtheile des Rumänischen so fragmentarisch in die Welt hinaus? Vor Allem müssen Sie das Misstrauen, das die Meisten gegen diese Studien hegen, besiegen; befolgen Sie doch meinen in der Vorrede gegebenen Rath: schreiben Sie in einer andern Sprache, als Rumänisch (deutsch, französisch, italienisch) einen allgemeinen Artikel über diesen Gegenstand, in dem Sie Ihre Methode rechtfertigen und die Ergebnisse zusammenstellen, welche Sie für sicher halten13.

Verzeihen Sie meine etwas rauhen Rathschläge und Ermahnungen; glauben Sie, sie werden zu Ihrem Besten dienen. Sie werden rasche und volle Anerkennung finden, wenn Sie Ihr etwas zu hitziges Temperament zügeln und sich nicht selbst Hindernisse in den Weg legen.

Ich dächte, jetzt wäre es Zeit an Niemeyer zu schreiben, schicken Sie ihm, was gedruckt ist, auch meinen Bogen — das wird genügen; im letzten Augenblick ist es zu spät14. Wenn Sie mir einige Exemplare des Ganzen zukommen lassen wollen, so werde ich in Deutschland Kritiker dafür auftreiben und an jeden einen besondern Brief richten (seien Sie nicht misstrauisch, ich sage Nichts Böses von Ihnen). Ich versichere Sie, dass Sie den Erfolg haben sollen, den Sie wünschen.

Ich lege den Brief von N. Caix bei15 und eine Liste von Druckfehlern, die ich angefertigt habe — wenn ich sie nämlich wiederfinde.

Grüssen Sie Frollo bestens von mir16!

Glauben Sie, dass ich von Herzen der Ihrige bin.
H. Schuchardt


1 V. lettera XXXVIII (e XXXI).

2 V. XXXVIII e n. 44.

3 V. XXXVIII e n. 42 per ulteriori rinvii.

4 V. XXXVIII e n. 43.

5 Ma il Hasdeu rinuncerà all’idea di pubblicare una replica in tedesco sui soli punti in cui riteneva che lo Schuchardt avesse torto (v. XLI, n. 3, e XLII).

6 V. lettere XLI e XLII.

7 Ritorna qui il rifiuto dello Schuchardt verso le introduzioni di pura cortesia, cui si era accennato nei mesi precedenti.

8 V. XVII, nn. 11, 12.

9 V. XXXVIII e n. 60.

10 V. lettera XXXVIII.

11 V. I, n. 1.

12 Ma nessun articolo del Hasdeu apparirà mai sulla « ZRPh » (accenni al riguardo sono però contenuti in alcune delle lettere di Moses Gaster al linguista romeno: cf. HCP I, pp. 181-200).

13 Cf. CdB S, p. ix.

14 II frontespizio del Suplement al tomo I di CdB porterà come coeditori Otto Harrassowitz — Leipzig e Direcţiunea Archivelor Statului — Bucureşti (con l’aggiunta « Tipografia Academiei Române, Strada Academiei No. 19 »). L'anno di stampa sarà il 1880. Si veda comunque anche XL, n. 2.

15 V. XLII e n. 5.

16 G. L. Frollo: v. XXXV, n. 4.

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