Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (44-12295)

von Hermann Urtel

an Hugo Schuchardt

Hamburg

03. 09. 1920

language Deutsch

Schlagwörter: Graz

Zitiervorschlag: Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (44-12295). Hamburg, 03. 09. 1920. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4543, abgerufen am 28. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4543.


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Hbg. 3. Sept. 1920.

Lieber verehrter Herr Professor!

Als neulich Ihre Karte, in der Sie so herzlich persönlich teilnahmen an meinem Geschick, eintraf, da hatte ich wieder stark das Gefühl innerer Zugehörigkeit zu Ihnen u. ich habe mir oft Gedanken gemacht, worin diese Abhängigkeit begründet sei, in der gemeinsamen Thüringer Abkunft, der Erinnerung an die Thür.Wald Täler oder die Hinneigung zur Romania spez. zur roman. Schweiz (die nur in Momenten der Inconsequenz infolge ,kriegspsychosischer Erkrankung‘ wankend wurde)? Manchmal glaube ich, daß irgend ein Vorfahre von mir in abgelebten Zeiten irgendwo in der Romania ein vergnügliches Dasein geführt habe. – Oder sinds wissenschaftliche starke Fesseln, die mich immer wieder in Ihre Bahnen zwingen? Seit Morf mir so schmerzlich als Führer verlorenging, fühle ichs doppelt, wie ich Ihnen verbunden bin u. seit jenen unvergesslichen Tagen in Graz und in der Villa Malwine, die viel mehr als Sie denken, für meine ganze innere Entwickelung entscheidend gewesen sind, weiss ich, daß ich Sie liebe und verehre wie einen Vater. – Als wir im Frühjahr am 4. Febr. abends nach arbeitsreichem Tage gerade im Einschlafen waren, sagte meine Frau noch: „Ach heute hat ja der alte Herr in Graz seinen Geburtstag“; nun kamen wir ins Erzählen, sprachen von dem |2| was Sie damals uns sagten, vom ,Pometsch‘, vom ,Nebelstreif‘1, sahen im Geiste die roten Rosen u. drüben die Fahrradbahn Ihres Gartens, dachten zurück an Ihre Bibliothek u. Ihre Fischereigeräte u. vor allem an das Tagebuch Ihrer verehrten Frau Mutter.2 Und vieles kam herauf, was sich nicht sagen lässt.- Seitdem klingen mir bei jeder neuen Zeile auch Ihrer wissenschaftlichen Schriften starke persönliche Töne herüber, und der Wunsch wird immer wieder lebhaft, daß wir Sie einmal wieder in Graz besuchen dürften. Und da ich ein unverbesserlicher Optimist bin, glaube ich auch an die Erfüllung dieses Wunsches.

In herzlicher Treue wie immer Ihre
Urtels.


1 Örtlichkeiten der Steiermark.

2 Das Tagebuch von Malvine Schuchardt umfasst die Jahre 1842-1847, ein Notizbuch das Jahr 1828.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 12295)