Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (43-12294)

von Hermann Urtel

an Hugo Schuchardt

Hamburg

07. 06. 1920

language Deutsch

Schlagwörter: Morf, Heinrich

Zitiervorschlag: Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (43-12294). Hamburg, 07. 06. 1920. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4542, abgerufen am 31. 05. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4542.


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Realschule
vor dem Lübeckertor
Hamburg, den 7.6.1920
Eilbecktal 9.

Sehr verehrter lieber Herr Professor!

Es ist lange her, daß ich Ihnen nicht geschrieben habe und Sie haben mir eine nach der andern Ihrer wundervollen Abhandlungen übersendet. Herzlichen Dank dafür und für Ihr Gedenken! Ich bin, seit dem mich die Universität als Vorlesungsmaschine braucht, ganz absorbiert. Vom Schuldienst zur Hälfte beurlaubt, aber desto mehr Arbeit (schöne u. erfolgreiche) für die Vorlesungen von Universtität u. Allgem. Vorlesungswesen. Ich habe über ,Literatur der Vorklassischen Periode‘ gelesen und entdecke immer mehr meine Vorliebe für Ideengeschichte. Ein Lehrauftrag für ,Französ. Literaturgeschichte‘ ist in naher Aussicht, u. ich werde jetzt jedes Semester Literatur lesen. Darunter leiden natürlich meine linguistischen Studien sehr. Aber ich muss erst einmal einen festen Boden, zumal in diesen finanziell so schwierigen Zeiten. – Dazu kommt ein schweres Unglück, das uns getroffen hat; meine |2| liebe Frau, die seit Februar in Schweden war, ist von dort krank zurückgekehrt; ein Karzinom der ,mamma‘ ist ihr vor 14 Tagen operiert worden; wir hoffen ja, daß sie, da frühzeitig und gründlich eingegriffen ist, alles noch bei ihrer Jugend überwinden wird. Aber es lastet schwer auf uns. Gottlob kehren am 18. die Kinder mit ihrer Heiterkeit von Schweden, wo sie 6 Monate aufgehoben waren, zurück. – Am 4. Februar abends gedachten wir Ihrer, aber die Tage sausten vorbei, ohne daß wir zum Glückwunsch kamen. Hoff. gehts Ihnen nach Wunsch in dieser prächtigen Sommerluft, die man so gerne leichten Herzens genösse. Von Tappolet1 hörte ich gestern, daß Morf in Gümligen (Bern)2 wieder viel besser ist; er spaziert und nimmt zu. Wie froh bin ich darüber!

Heute nur zwischen Sitzungen u. Vorlesungen herzlichste Grüsse Ihres alten
Urtel.


1 Ernest Tappolet (1870-1939), Schweizer Romanist in Basel.

2 Dort gibt es noch heute eine Klinik für Altersmedizin.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 12294)