Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (37-12288)

von Hermann Urtel

an Hugo Schuchardt

Stolberg, Harz

08. 10. 1918

language Deutsch

Schlagwörter: Slawische Philologielanguage Arabisch Morf, Heinrich Morf, Frieda Stumme, Hans Schuchardt, Hugo (1918)

Zitiervorschlag: Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (37-12288). Stolberg, Harz, 08. 10. 1918. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4536, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4536.


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Stolberg 8. Oktober 1918.

Sehr verehrter lieber Herr Professor!

Die Übersendung Ihrer „Romanischen Lehnwörter im Berberischen“1 hat mir viel Freude gemacht, herzlichen Dank! Ein paar Tage später – während meiner Abwesenheit in Göttingen zu einem Besuch bei Wilhelm Schulze2, der dort im Lager sitzt – kam Ihre Karte. Nun vor allem – ich kann Ihnen leider nichts Neues über Morfs Zustand sagen.3 Wo ich etwas höre, ists trostlos. Seine Übernahme nach Neubrandenburg war offenbar ein misslungener Versuch. Er ist wieder in eine Anstalt verbracht, ich weiss aber nicht wohin. Den Namen der Krankheit kann ich nicht geben, denke aber, daß eine Paralyse vorliegt, die wohl jede Heilung ausschliesst. Ich verstehe schwer, warum man von seiten der Familie so völlig im Dunkeln gelassen wird. Ich will aber nochmals an seine Tochter Frida Morf jetzt Frau Dr Lehner schreiben. Aus Berlin höre ich nur immer „unheilbar“. Vom November ab werde ich bei unseren Commissionssitzungen voraussicht- |2| lich als romanischer Beauftragter teilnehmen müssen; da wird sich die Gelegenheit geben wieder nach Berlin zu kommen, was sonst – fast hätte ich schrecklicherweise gesagt: bei Lebzeiten Morfs – fast jeden Monat der Fall war. – Dieser persönliche Verlust – ein schwererer in wissenschaftlicher Hinsicht ist inmitten meiner Arbeiten kaum denkbar – kostet mir viel Arbeitsmut und Lebensfreude; denn wenn nun der – noch so kladrige – Friede kommt, dann sitze ich mit einem Berg von Materialien und einer fast noch grösseren nach Ausgestaltung ringenden moles von Ideen als zufriedener (?) Schulmeister vor der Tür meiner Sexta! Es ist zum Auswachsen! Also insapientis sat!4

Ihre berberische Gabe zeigt mir wieder, wie dringend nötig ich ausserhalb des baskischen Gebietes einen Stützpunkt brauchte. Ich schreibe eben wegen verschiedener Dinge an Stumme5 – aber man kann doch nicht immer fragen. – Da Sie mir das gütig erlauben, so will ich |3| nur ein paar Fragen stellen. Ich bin bei den bask. Wochentagen: erster Feiertag, mittlerer Feiertag, letzter Feiertag erinnert natürlich an pt. segunda feira etc. Im allgemeinen wird wohl bei solchen Verhältnissen das Alter überschätzt. Wissen Sie etwas, wo über die Wochentage gehandelt wird6; ich habe Artikel hebdomas bei Pauly u. Wissowa notiert. Die Bibliotheksnot ist gross, ja wenn jeder schöne Harzbaum ein Buch wäre! Was ist z.B. das verdammte larumbat ,Sonnabend‘; ,einer von vieren‘ des guten Astarloa7 ist doch nichts? Die Endung klingt fast an sa(m)batu.

Und igande ,Sonntag‘ ist ja offenbar desselben Stammes wie iguzki ,soleil‘; aber soll sich ,monter‘ eingemischt haben, von den Hirten und Arbeitern, die am Sonntag wieder in die Berge steigen, vgl. igantekari bei Azk., oder hat sich eine astrologische ,Ascendenz‘ beigemischt?

Und dann: darf ich fragen, wie Sie über das -tsi der Zahlwörter 8 und 9 denken; wirklich 10 – 1, 10 – 2; aber was ist dann das vermeintliche sor- (bedera ist ja klar.) Kennen Sie eine Parallele in berberischen Dialekten? |4| Denken Sie, daß es mir unmöglich ist, Bonaparte’s Verbe basque en tableaux aufzutreiben?8 Ich habe es noch nie zu Gesicht bekommen!! Ebenso gehts mir mit Campion’s Grammatik und Duvoisins Bibelübersetzung.9 Ich werde wohl mal zu Harrassowitz10 reisen u. sehen, was er noch hat. – Ich habe immer den Gedanken, daß man an einer Universität eine baskische Centralstelle schaffen sollte, wozu ich gern ein Verzeichnis der auf deutschen Bibliotheken vorhandenen Sachen liefern würde. Wenn ich denke, daß einmal später Ihre gewiss herrliche baskische Bibliothek in alle Winde zerflattern könnte! Könnten Sie dem vielleicht vorbeugen? Verzeihen Sie; aber mit Ihrem Schriften-Verzeichnis haben Sie einen so überaus glücklichen Schritt getan, ich habe jetzt bei einem 8 tägigen Aufenthalt in Weimar (ach, er war wieder so schön!) wieder den Nutzen gehabt. Bald schreibe ich wieder.

In alter Treue mit guten Wünschen

Ihr

Urtel.


1Die romanischen Lehnwörter im Berberischen“, SB d. Wien. Ak. 188, IV, 1918, 1-82.

2 Wilhelm Schulze (1863-1935), Indogermanist, seit 1895 Lehrstuhlinhaber in Göttingen.

3 Vgl. Lfd.Nr. 36-12287.

4 Eigentlich „sapienti sat“ (Plautus, Pers. 729) „genug für den Eingeweihten, den Weisen“ (= das Streben nach Weisheit trägt den Lohn bereits in sich); „insapientis sat“ hieße dann so viel wie „es gibt genug Unwissende“.

5 Hans Stumme (1864-1936), von 1909-30 o. Hon.-Prof. f. Neu-Arabisch u. hamitische Sprachen in Leipzig.

6 Karl Hannemann, Prolegomena zur baskischen oder kantabrischen Sprache, Leipzig 1884, 19f.

7 Pablo Pedro de Astarloa, Apología de la lengua bascongada, Madrid 1803, 338.

8 Louis-Lucien Bonaparte, Le verbe basque en tableaux: accompagné de notes grammaticales, selon les huit dialectes de l'Euskara: le Guipuscoan, le Biscaïen, le Haut-Navarrais septentrional, le Bas-Navarrais occidental, le Bas-Navarrais oriental et le Souletin; avec les différences de leurs sous-dialectes et de leurs variétés; recueilli sur les lieux mêmes de la bouche des gens de la campagne, dans cinq excursions linguistiques faites dans les sept provinces basques d'Espagne et de France pendant les années 1856, 1857, 1866, 1867, 1869, London 1869.

9 Arturo Campión, Grammatica de los cuatro dialectos literarios de la lengua euskara, Toulouse 1884; Jean Duvoisin / Louis-Lucien Bonaparte, " Bible edo Testament zahar eta berria. Duvoisin kapitainak latinezko Bulgatatik leembiziko aldizko Laphurdiko eskarara izulia. Luis Luziano Bonaparte Printzeak argitara emana " (Biblia o el viejo y nuevo Testamento. Vertido de la Vulgata latina por primera vez al euskera de Laburdi por el capitán Duvoisin. Publicado por el Príncipe Luis Luciano Bonaparte). Londres, 1859.

10 Der Verlag Harrassowitz wurde mit den Schwerpunkten Buchwissenschaft, Orientalistik, Slawistik und verschiedene Philologien 1872 in Leipzig gegründet, 1943 völlig durch Bomben zerstört und 1947 in Wiesbaden wiederbelebt.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 12288)