Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (36-12287)

von Hermann Urtel

an Hugo Schuchardt

Stolberg, Harz

12. 07. 1918

language Deutsch

Schlagwörter: Morf, Heinrich Morf, Bertha Morf, Frieda Linschmann, Th.

Zitiervorschlag: Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (36-12287). Stolberg, Harz, 12. 07. 1918. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4535, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4535.


|1|

Stolberg. 12. Juli 1918.

Lieber verehrter Herr Professor!

Ich beeile mich, Ihnen auf Ihre eben eingetroffene Karte zu antworten. Morfs Zustand ist leider sehr ernst. Ich habe ihn nun seit Ostern nicht mehr sehen und sprechen können – doch einmal sprach ich telefonisch von hier aus mit ihm und seine Stimme klang mir damals schon merkwürdig gebrochen und angstvoll. Von Frau M. und ihrer Tochter Frau Frieda Lehner habe ich indessen schriftlich gehört und habe vor ein paar Wochen Frau M. in Berlin einen Besuch gemacht. Sie war sehr zurückhaltend; ich entnahm ihren Mitteilungen, daß es sich eben um eine schwere psychische Erkrankung handelt, daß ihn fortwährend Ideen in der fürchterlichsten Weise verfolgten, Hungertod zu sterben, langes Siechtum ohne Rettung, allmähliches Absterben des Körpers u.s.w. |2| und daß dazwischen Krisen mit einer Qual auftraten, die seine Überführung in ein Sanatorium und zu psychiatrischer Behandlung nötig machten. So war er erst in Neubabelsberg unter gebracht; dann versuchten die Angehörigen, ihn für den Sommer in seiner alt gewohnten Sommerfrische in Neubrandenburg unterzubringen. Dieser Versuch ist scheinbar mislungen, denn ich hörte bald darauf, daß er in ein Sanatorium in Lankwitz gebracht sei. Frau L. teilte mir mit, daß die Ärzte zuversichtlich die völlige Heilung in Aussicht stellten und mit langen Heilperioden rechneten falls nicht durch die Diabetes Complikationen heraufgeführt würden. Ich habe mit einem alten erfahrenen Arzt alle Symptome besprochen, und da lautet die Antwort sehr skeptisch. M. hat übrigens in den letzten Wochen vor seiner Erkrankung alles geordnet, wie vor dem letzten Wege. – Ich weiss, daß die Angehörigen |3| gern sähen, daß von seiner Krankheit wenig die Rede ist; aber ich hielt es doch für richtig, Ihnen reinen Wein einzuschenken. –1

Damit genug von diesem sehr traurigen Capitel. Wenn Sie dieser Brief erreicht, werde ich bei Linschmann in Meiningen sein, um ihm die ,Euskara‘-Bibliothek abzukaufen. Denn ich bin noch arg entblösst von bibliograph. Hilfsmitteln (ja Azkue besitze ich noch nicht!).2 Wie schön wäre es, wenn man eine Centralstelle für bask. Studien schaffen könnte, eine Art bask. Institut – davon träume ich. Freilich kann ich die bask. Welt erst dann wissenschaftlich aus den Angeln heben, wenn ich einen festen Organisationsstützpunkt – sagen wir einen „Stuhl“ – mein Eigen nenne. Wie sehr hat mich wieder Ihre Bespr. von Meyer-Lübkes |4| Namenstudien3 erfreut und erfüllt. Die einleit. Bemerkung von den Wahrscheinlichkeiten der etymolog. Forschung ist mir aus der Seele gesprochen.

orkatz             Sporn     }      

orkoro            Daumen }      solche Wurzelfasern durch-

orkatilla          Knöchel  }    

ziehen den gesamten bask. Wortschatz. Das würde ich gern mal darstellen. Die 2. Arbeit für die Akademie wird in diesen Tagen fertig.4

Ihnen von Herzen alles Gute aus diesen grünen Wäldern des Harzes!

Ihr

H. Urtel.

Auch meine Frau grüsst bestens! Wie prächtig mag jetzt Ihr schönes Graz im Sommerkleide leuchten!


1 Weitere Hinweise auf Morfs Erkankung sind den Briefen von Eva Seifert und Frida Morf sowie auch von Morf selber zu entnehmen, die sich im HSA befinden.

2 Vgl. Anm. 10 zu Lfd. Nr. 37-12288.

3 Vgl. Anm. 1 zu Lfd. Nr. 35-12286.

4 Vgl. Anm. 6 zu Lfd. Nr. 29-12280.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 12287)