Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (29-12280)
von Hermann Urtel
an Hugo Schuchardt
21. 10. 1917
Deutsch
Schlagwörter: Baskisch
Rumänisch Meyer-Lübke, Wilhelm Morf, Heinrich Graz Schuchardt, Hugo (1917) Schuchardt, Hugo (1916) Urtel, Hermann (1919)
Zitiervorschlag: Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (29-12280). Berlin, 21. 10. 1917. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4527, abgerufen am 31. 05. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4527.
Berlin 21. Okt. 1917.
Lieber hochverehrter Herr Professor!
So lange Zeit ist hingegangen, daß ich Ihnen nicht geschrieben habe und auch ich habe lange nichts von Ihnen gehört. In der letzten Woche ist nun meine ,Iberische Arbeit‘ herausgekommen1, Sie werden sie ja als Mitglied der Akademie bereits haben, aber ich werde Ihnen natürlich ein Sonderexemplar schicken, sobald ich von den vielfältigen Reisen der letzten Wochen nach Stolberg (Harz), meinem ständigen Baskenstandquartier, zurückgekehrt bin. Die Arbeit ist ja ganz von Ihren Anregungen durchtränkt und wie dankbar und froh wäre ich, wenn Sie ein wenig damit zufrieden wären.2 Accepta reddo. Wenn die Sache richtig ist, dann bringt sie im Resultat doch recht wichtiges. |2|Meyer-Lübke hat mir soeben freundlich geschrieben, er hat sich mit Baskisch sehr viel in der letzten Zeit beschäftigt. Die Auslandsexpedition dauert jetzt erheblich länger – nicht einmal meiner Frau, die seit einem halben Jahr in Schweden mit den Kindern lebt, konnte ich bisher ein Exemplar senden. Von Morf höre ich heute, daß Sie ihm geschrieben haben; wie dankbar wäre ich für ein Ex. Ihrer Sprachverwandtschaft.3
Über Ihre so interessanten berberischen Studien4 hätte ich Ihnen gern eingehend geschrieben; aber mich haben diesen Sommer wissenschaftliche Fluten dermassen scharf getrieben, daß ich zu vielem erhofften nicht gekommen bin. Ihre Arbeiten – dank Ihrem Verzeichnisse immer „neue – alte“ – sind ja doch meine tägliche Nahrung. Ich hoffe, daß einmal der Tag kommen möge, wo keiner so gut wie ich die Reihe Ihrer Schriften bis |3| in die Einzelheiten kennt!
Diesen Sommer habe ich nun im Rumänenlager wochenlang Rumänisch gelernt und meine Arbeiten sind da gut fortgeschritten, so daß Tiktin5, der mir später die Sachen durchsah, sehr zufrieden war. Neue grosse Aufgaben locken. Für die Akademie hoffe ich bald eine neue grössere Arbeit über die ,baskische Onomatopoesis‘ fertig stellen zu können.6 Wie gern bespräche ich so tausend Sachen mit Ihnen und bedaure fast täglich die lokale Trennung von Ihnen.
Einstweilen warte ich auf einen Pass nach Schweden, damit ich die Meinen endlich einmal wiedersehen kann. Die Trennung drückt mich sehr.
Hoffentlich sind Sie bei guter Gesundheit; sobald es Frieden ist, soll mein erster Gang nach Graz zu Ihnen gehen.
Heute nur beste Grüße. In alter herzlicher Verehrung
Ihr
Hermann Urtel.
1 Vgl. Anm. 4 zu Lfd. Nr. 26-12277. Morf, der die Abhandlung der Akademie am 12.7.1917 vorlegte, fasste Urtels Beitrag wie folgt zusammen (SB 1917, 499-500): „Eine Durchsicht des südfranzösischen Wortschatzes, wie ihn Gilliérons Atlas linguistique de la France uns vermittelt hat, ergab die Möglichkeit, die Verwandtschaft einer Reihe von südfranzösischen Ausdrücken mit echt baskischen Wörtern festzustellen. Die Untersuchung zeigte, daß dem Baskischen verwandte Wörter nicht nur in der Nähe, des heutigen baskischen Sprachgebietes noch leben, also im Bearnischen und Gaskognischen, sondern vor allem in dem weiten Gebiete languedokischer Mundarten. Die iberische Einflußsphäre reicht also – lediglich auf Grund dieser sprachlichen Indizien umgrenzt – im Osten bis an die Rhone, im Norden bis zum Massiv der Auvergne und im Nordwesten bis ins Herz der Dordogne, ja bis nach H te-Vienne hinein. Dieser örtlichen Ausdehnung lebenden iberischen Wortmaterials entspricht nun durchaus die Lage von solchen Orten, deren Namen iberische Herkunft zeigen. 53 südfranzösische Ortsnamen wurden behandelt und ihre geographische Verteilung ebenso wie die der einzelnen iberischen Worttypen in zwei beiliegenden Karten zur Anschauung gebracht“. Schuchardts Anmerkungen im LB 39, 1918, 39-44 betreffen einzelne Etymologien, doch wichtiger ist sein Rat, Urtel solle bei zukünftigen Arbeiten nicht Gilliérons Atlas, sondern Azkues Wörterbuch zu Grunde legen.
2 Aus Morfs Brief an Schuchardt vom 6.9.1917 (Lfd.Nr. 07527) geht hervor, dass Schuchardt nicht wirklich mit Urtels Arbeit zufrieden war, aber auf Morfs Bitte hin seine Kritik freundlich „verpackte“.
3 „ Sprachverwandtschaft“, SB der Berl. Akad. d. Wiss. 1917, 518-529.
4 „ Berberische Hiatustilgung“, SB d. Wien. Akad. 182, 1916, 1-60.
5 Hariton Tiktin (1850-1936), deutsch-rumänischer Romanist, Spezialist für rumänische Sprache und Literatur, von 1912-25 Lektor an der Berliner FWU.
6 „Zur baskischen Onomatopoiesis“, SB der Berl. Akad. d. Wiss. 1919, 138-157; vgl. dazu Schuchardt, LB f. germ. u. rom. Phil. 1919, Sp. 397-406.