Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (26-12277)

von Hermann Urtel

an Hugo Schuchardt

Berlin

1917-02

language Deutsch

Schlagwörter: Revue internationale des études basques Morf, Heinrich Jud, Jakob Edmont, Edmond/Gilliéron, Jules (1918) Schuchardt, Hugo (1918) Urtel, Hermann (1917) Jud, Jakob (1913) Schuchardt, Hugo (1923) Schuchardt, Hugo (1912)

Zitiervorschlag: Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (26-12277). Berlin, 1917-02. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4524, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4524.


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Berlin SW. Wilhelmstr. 34

Lieber Herr Professor!

Ihre schöne Schrift und Ihr freundlicher Brief haben mich sehr froh gemacht. Recht vielen Dank für beides! Und wenn Sie wüssten, wie sehr solcher Zuspruch anfeuernd wirkt! Ich habe nun der Hilfe Morfs zu danken, daß ich demnächst für 3 Wochen in jenes kleine Harzdörfchen Rottleberode b. Stolberg ziehe1, in dem meine 4 Merseburger Basken auf einer Sägemühle arbeiten. Der Direktor der Sägemühle stellt mir die 4 Leute (2 Labourdiner von Arcangues u. 2 Souler von Mauléon) für Nachmittag u. Abend zur Verfügung. Bei einem kurzen Aufenthalte dort haben mir die Kerle 30 neue Lieder und Erzählungen mitgeteilt, teilweise 6-10 Strophen lang.

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Es sind wandelnde Bücher. Ich werde sie nach Kräften auspumpen u. vor allem das Teufelszeug von Verbum ordentlich zu lernen suchen. Die letzten Wochen hat mich geradezu in Atem gehalten ein Thema, das ich bearbeitet habe und mit Morfs Zuspruch vielleicht der Akademie vorlegen kann. Ich habe den Atlas2 durchgesehen und versucht festzustellen, was in Südfrankreich etwa zur iberischen Unterschicht gehören könnte.3 Da kommt vor allem das merkwürdige gauche-Problem in Frage, wo ich allerdings – in Erwartung weiterer Belehrung durch Sie – vorläufig Juds Bemerkungen in der Romania (gegen Ihre Anmerk[un]g in „Nubisch u. Baskisch“)4 beipflichten möchte. Es handelt |3| sich ausserdem um 40-50 Fälle, wo mir – nach Durchsicht des gesamten Atlasmaterials – iberischer Untergrund vorzuliegen scheint. Ausser daunobero, das ich aber als djaun-aberea (entsprechend den Atlasformen) „Gottestierlein“ fassen möchte und dem merkwürdigen elbase „femelle de lièvre“ im nördl. Puy-de-Dôme, was doch offenbar zu erbia gehört, giebt der Atlas unerhört interessante und – verwickelte Probleme an die Hand. Ich lebe jetzt ganz in diesen Fragen. –

Für den Hinweis auf Salaberry, der mir schon wertvolle Dienste geleistet hat u. Trebitsch’s Heft (giebt er denn gar keine phonetischen Texte mit?) besten Dank.5 Heute fahre ich nach Müncheberg in der Mark, wo auch |4| Basken sitzen sollen. Ich muß ihnen bis in die Einzelkommandos nachgehen. Soll ich Ihnen etwas erfragen oder bei den Berbern in Wünsdorf, die ich neulich wieder gesprochen habe?

Bitte sehr um ein Exemplar Ihrer ,Berb. Hiatustilgung‘6.

Auf die Texterklärungen zu Leizarragas „Verlorenen Sohn“ wäre ich sehr begierig.7 Wir haben bis jetzt 2 Platten (von den 17 bisher aufgenommenen) „Verlorene Söhne“ (1 labourdisch u. 1 soulisch)

Heute nur noch herzlichen Gruß Ihres

dankbaren

Urtel

Auch volkskundlichen Dingen gehe ich nach; die ,Couvadé‘8 kennt keiner meiner Basken, sie haben herzlich gelacht, als ich ihnen davon erzählte.


1 Dort befand sich eine Flussspatgrube, wo Kriegsgefangene zur Arbeit eingesetzt wurden; ein eigenes Kriegsgefangenenlager ist nicht nachgewiesen.

2 Jules Gilliéron / Édmond Édmont, Atlas linguistique de la France, Paris 1902-10.

3 Vgl. Schuchardts kritische Besprechung von H. Urtel, Zum Iberischen in Südfrankreich, LB für germ. u. rom. Philologie 39, 1918, 39-44. Urtels Beitrag war in den SB d. kgl. preuss. Akad. d. Wiss. 1917, 530-554 erschienen. Zu Beginn heißt es: „Die vorliegende Studie, die aus der, Beschäftigung mit der lebendigen Sprache der französischen Basken hervorgegangen ist, möchte nun einen Beitrag liefern zur Lösung der Frage, ob sich im südfranzösischen und katalanischen Wortschatze des Sprachatlasses unter Ausscheidung der Lehnwörter Elemente nachweisen lassen, die in ihrer begrifflichen Form an baskische Bildungen erinnern oder in der äußeren Gestalt entsprechenden baskischen Ausdrücken verwandt zu sein scheinen. – In einem zweiten Teile wird dann von der iberischen Herkunft einiger Ortsnamen im Süden 1 und im Zentrum Frankreichs gehandelt“.

4 Jakob Jud, Romania XLII, 1913, 602-603.

5 A. Salaberry D’Ibarrolle / Louis Lucien Bonaparte, L’Évangile selon Saint Mathieu: sur la version de M. Le Maistre de Sacy, traduit en langue basque, dialecte Bas-Navarrais, Bayonne 1856; Rudolf Trebitsch, Baskische Sprach- und Musikaufnahmen: ausgeführt im Sommer 1913: 34. Mitteilung der Phonogramm-Archivs-Kommission der Kaiserl. Akad. d. Wiss. in Wien 1914.

6 Vgl. Anm. 3 zu Lfd. Nr. 25-12276.

7 Hugo Schuchardt, Primitiae Linguae Vasconum, Halle 1923 (Sprachwiss. Kommentar des Gleichnisses vom verlorenen Sohn in bask.Übers. Leizarragas nach Luk. 15,11f.).

8 Männerwochenbett. Schuchardt hatte 1912 einen kritischen Artikel „La ‚Couvade’ chez les Basques” in der RIEV verfaßt, der mit der ironischen Bemerkung beginnt: „La Couvade chez les Basques no cesse pas de se couver elle-même“. (Brevier/Archiv Nr. 638). Vgl. auch die einschlägige Diskussion in der Korrespondenz zwischen Schuchardt und Urquijo.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 12277)