Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (17-12268)

von Hermann Urtel

an Hugo Schuchardt

Hamburg

31. 05. 1915

language Deutsch

Schlagwörter: Schulten, Adolf Maver, Giovanni (Hans) Reis Gonçalves Viana, Aniceto dos Portugal Italien Schuchardt, Hugo (1915)

Zitiervorschlag: Hermann Urtel an Hugo Schuchardt (17-12268). Hamburg, 31. 05. 1915. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4515, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4515.


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Hbg. 31. Mai. 1915

Lieber verehrter Herr Professor!

Wieder geht ein Monat geht zu Ende und das, was ich mir täglich vorgenommen habe, Ihnen zu schreiben und zu danken herzlichst für Ihren Brief (der wie immer, wahren Sonnenschein über meinen Tag gebreitet) soll endlich zur Ausführung kommen. Die Arbeit über Baskisch=Iberisch od.=Ligurisch war mir von höchstem Interesse – ich bin so froh und dankbar, daß Sie mir so Anteil nehmen lassen an Ihrer Arbeit!1 Daß Schultens Stärke2 nicht auf der sprachlichen Seite liege, hatte mir ein fragmentarisches Anlesen des schönen Werkes gezeigt, aber das Ganze muss von mir noch genau studiert werden. Den romanischen Synkretismus, soweit er im Volksglauben zum Ausdruck kommt, hätte ich so gern einmal näher untersucht – eben giebt mir |2|Hans Mavers interessante Arbeit über die Toponomastik Frk.s3 neuen Anstoss – aber zehn Königreiche für mehr Zeit! Die Militärbehörde hat mich zum Censor von den hier internierten 120 HospitalGefangenen gemacht u. ich muss zahllose Briefe auch die eingehenden lesen. Vieles sehr interessante, das ich für später notiere. Unter den Leuten, die ich in Begleitung des Inspektors auch besuchen darf, sehr nette Kerls (die 20 syphilitischen Russen nehme ich aus; sie machen immer so stiere Augen, wenn wir kommen, als sollten sie nun gehängt werden) Auch ein Baske ist darunter, leibhaftig! Wie könnte ich Studien machen, wenn mir die Militärbehörde Erlaubnis dazu gäbe. Für den Waffendienst bin ich zurückgestellt – leider trotz allen Protestes – freilich meiner Frau ists recht. Sie erholt sich eben ein paar |3| Wochen in Wilhelmshöhe und so habe ich denn auch ein wenig mehr Freiheit für die Arbeit – denn ein Ehemann ist bis zu gewissem Grade doch immer ein „verhinderter Dichter“!

Daß Sie für Viana’s – so wird er auch in Portugal allgemein genannt – Nachruf keinen Unterschlupf haben u. auch – was ich so dankbar begrüsst hätte – nichts weiteres dazu geben könnten, ist mir fast leid. Mir hatte ja nur das Gefühl die Feder geführt, daß ein so feiner Geist, mir persönlich ein so geliebter Freund nicht unbeklagt in den Hades fahren dürfe. Neulich sandte mir Claudio Basto4 aus Viana-do Castel]l[o (ein feiner junger Arzt und eifriger Philologe, dem ich sehr befreundet bin) einen Necrolog aus der Rev. Lus.5 – Würden Sie mir wohl gelegentlich die Zeilen über Viana zurückgeben? Vielleicht lässt der Aufsatz |4| sich später etwa in einer Sammlung meiner bescheidenen Beiträge unter dem Titel „Von romanischen Ländern und Menschen“6 unterbringen.

Nun also auch Italien!7 Wahrhaftig den Romanisten wird ihr Lieben nicht leicht gemacht“ Diese Regierungsbande da drüben! (Beiliegende Entrüstungsstrophen nehmen Sie bitte nachsichtig auf!) – Übrigens höre ich doch aus dem Süden, wie fabelhaft unpopulär der Krieg bei den Italienern selbst vielfach ist!

Für heute nur noch schöne Grüsse! Wir träumen von einer Ferienreise nach Östreich. Ob’s geht? Dann würde ich mich unendlich freuen, Sie wiedersehen zu können.

Stets Ihr getreuer
Urtel

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An Italien.

Seht nur, wie sie sich wild ereifern

In frechen Kriegerbacchanalien

Die alte Freundschaft zu begeifern

Wie schamlos stehst Du da, Italien!

Wie? Wagst Du feiges Überfallen?

Banditenhafte Repressalien?

Wohlan, schlag blutig Dir die Krallen

Die gierig du gezückt, Italien!

Im Solde englischer Proleten,

Gehetzt von niedrigstem Gelichter

Vom neurasthenischen Poeten:

Du Land der Sehnsucht unsrer Dichter!

Schon Frankreichs Jugend ward geschlachtet,

In Gräben ruhen Katakomben,

Bist Du in Wahnwitz ganz umnachtet?

Stürz nur ins Feuer deutscher Bomben!

Der Worte sind genug gedrechselt

Und Noten hin und her gewechselt

Zum Teufel Diplomatenwisch!

Jetzt kommt der Säbel auf den Tisch!


1Baskisch = Iberisch oder = Ligurisch?“, Mitt. d. Anthrop. Ges. in Wien 45, 1915, 109-124.

2 Adolf Schulten, Numantia, die Ergebnisse der Ausgrabungen 1905-1912, München 1914, womit sich Schuchardt in dem Anm. 56 erwähnten Aufsatz kritisch auseinandersetzt.

3 Hans Maver, Einfluss der vorchristlichen Kulte auf die Toponomastik Frankreichs, vorgelegt in der Sitzung am 12. November 1913 [Akad. d. Wiss. Wien], Wien 1914.

4 Cláudio Filipe de Oliveira Basto (1886-1945), Dr. med. in Porto, danach Romanist, Ethnologe und Dialektologe.

5 Revista Lusitana 17,1915, 209.

6 Nicht nachgewiesen.

7 Der Kriegseintritt Italiens erfolgte am 23. Mai 1915 (Kriegserklärung an Oesterreich-Ungarn).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 12268)