Hugo Schuchardt an Bogdan Petriceicu Hasdeu (36-1179)

von Hugo Schuchardt

an Bogdan Petriceicu Hasdeu

Graz

17. 04. 1878

language Deutsch

Schlagwörter: language Albanischlanguage Rumänischlanguage Französisch Diez, Friedrich Frollo, Gian Luigi

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Bogdan Petriceicu Hasdeu (36-1179). Graz, 17. 04. 1878. Hrsg. von Bruno Mazzoni (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4493, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4493.


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Graz 17. 4. 78.

Verehrter Freund!

Es ist mir sehr angenehm, dass Sie meinen kürzesten Brief wahrhaft freundschaftlich gefunden haben1; es wäre mir aber lieb gewesen, wenn Sie auch in meinen beiden langen Briefen 2 Spuren wahrer Freundschaft entdeckt hätten. Ich bin im Ganzen kein Freund vom Briefschreiben und solche lange gar lasse ich nur im äussersten Nothfall vom Stapel. Hätten Sie nur eine Andeutung darüber gegeben wie weit Sie den von mir dargelegten Gründen Anerkennung gewähren! Ihnen kommt es vor Allem auf das Ergebniss an, mir auf den Modus. Und so auch in der Wissenschaft selbst. Wie viele Bücher, an deren Ergebnissen ich absolut Nichts auszusetzen habe, langweilen mich! und umgekehrt interessiren mich viele, wo ich gegen einzelne Ergebnisse Einwendungen zu machen habe, im allerhöchsten Grade. Es kommt doch überall nur auf den Weg an, der uns zu Etwas führt! Der schalste Kopf kann einen glücklichen Fund thun und der scharfsinnigste Kopf kann das Ziel verfehlen, zu dem er gelangen wollte; aber sein Spaziergang wird so mannigfache Veduten nach allen Seiten eröffnen, dass man dadurch auf’s Lebhafteste angeregt und erfreut wird. Und wenn er das Gewollte nicht findet, wird er unterwegs vielleicht Wichtigeres finden.

Wie werden wir uns über die strittigen Punkte verständigen? Mündlich ginge das sehr rasch; aber schriftlich wird das länger dauern, als Ihnen und mir lieb sein würde. Ich sage: mir; denn ich hätte sehr gern meine Einleitung gegen Mitte Mai fertig in Händen gehabt. Eines macht mir ernste Bedenken, dass Sie nämlich meine Gleichung -lla : -o nicht annehmen3. Ich gestehe Ihnen offen, ich halte dieselbe sicherer, als Alles was Sie oder ich je aufgestellt haben. Ich weiss nicht, welche Lücke in der Beweisführung ist. Die Analogie der Formen in -oa mit alban. in -ia und -ua wird man auf’s Entschiedenste bestreiten müssen, da ja das o zum Wortstamm gehört, wie makedorum. steao = stella, šao = s ella u.s.w. unwiderleglich zeigen. Und wie erklären Sie stea = stiella? Wegfall von -lla!

Sie fragen, ob makedor. sté-o-lĭi = sté-la-lĭi, also illa zweimal differenzirt sei. Das ist ja gerade nicht meine Meinung; sondern stéo-lĭi ist = stella illae (Nominativ des Nomens mit Dativ des Artikels, wie auch in andern Fällen verbunden). Sie sprechen auch von oa = la; ich meine ja aber o = lla. Auch in Bezug auf fughicel verstehen Sie mich immer noch nicht; ich verlange ein Beispiel für n = ngh (funicel = funghicel)4. Für u = i nach Palatalen kommt giur allerdings in Betracht; ich verzichte sogar darauf, u aus y abzuleiten, wie Diez thut; denn vor u = y bleibt der Guttural. + Aber acioae = it. ačaio (das i nach dem c ist ja nur graphisch) verstehe ich nicht. In aciuare ist auch die Endung are bedenklich und, mir wenigstens, der Bedeutungsübergang5. Wie dem aber auch sein mag, diese phonetischen Auseinandersetzungen durften Sie sich nicht ersparen; denn Sie können unmöglich behaupten, dass es sich um selbstverständliche Dinge handelt.

Schicken Sie mir Ihre Liste6 möglichst bald; ich werde entweder Ihre Gründe widerlegen, resp. meine Auffassung durch weitere Gründe stützen oder mich besiegt bekennen. Dann aber müssen die Verhandlungen ein Ende haben. Wir dürfen die Schwierigkeiten, die wegen des Friedens von S. Stefano7 entstehen, nicht nachahmen. Wir könnten ja die Sache so machen. In Bezug auf Vieles werden wir uns vollkommen verständigen, in Bezug auf Anderes uns wenigstens annähern; was dann von Meinungsdifferenzen zwischen uns übrig bleibt, legen wir dem Publikum in der Gestalt vor, dass Sie Anmerkungen unmittelbar unter den Text meiner Einleitung geben sei es in rumänischer, sei es in französischer Sprache. Gefällt Ihnen dieser Vorschlag?

Das Frollo die Jassier Professur erhalten möge, wünsche ich ihm von Herzen8; bitte, grüssen Sie ihn bestens von mir.

Mit der Hoffnung auf glückliches rasches Einvernehmen

Ihr ganz ergebener

H. Schuchardt

Gegen lu = le habe ich an sich ja Nichts (obwohl ich luturghi = liturghi nicht citiren würde)9; aber was haben Sie gegen luò : luà = ploò : ploà10?

+ Und sollte unbetontes i vor Vokal zu u geworden sein. Aus acquiere war doch ačere zu erwarten, wie aus quietus: (in)cet11.


1 V. lettera precedente del Hasdeu (XXXV).

2 Lo Schuchardt si riferisce alle lettere qui numerate XXXII e XXXIII.

3 Lo Schuchardt risponde qui alle riserve avanzate dal Hasdeu nella lettera precedente. Sul problema cf. CdB S, pp. xxxvi-xxxix, e v. XXXII, n. 28.

4 V. XXXV e n. 8.

5 V. XXXVIII e n. 40.

6 V. lettera XXXVIII.

7 V. XXXII, n. 37.

8 G.L. Frollo: v. XXXV e n. 5; XXXVIII e n. 2.

9 V. lettera del Hasdeu immediatamente precedente (XXXV).

10 Cf. quanto scriverà lo Schuchardt in CdB S, p. xxxv e n. 9 (e v. XXX, n. 24).

11 V. supra, n. 5.

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