Hugo Schuchardt an Bogdan Petriceicu Hasdeu (33-1177)
von Hugo Schuchardt
07. 04. 1878
Deutsch
Schlagwörter: Albanisch Rumänisch Rhys, John (1877) Schuchardt, Hugo (1877) Schuchardt, Hugo (1877) Hasdeu, Bogdan Petriceicu (1879)
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Bogdan Petriceicu Hasdeu (33-1177). Graz, 07. 04. 1878. Hrsg. von Bruno Mazzoni (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4490, abgerufen am 09. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4490.
Graz 7. April 1878
Verehrter Freund!
Ihr Brief von gestern1 hat mich in eine solche dauernde Aufregung versetzt, ich bedauere so sehr, Jemanden verstimmt zu haben (ohne dass ich mir’s träumen liess), gegen den ich vom herzlichsten Wohlwollen erfüllt bin, dass ich Ihnen heute nochmals geschrieben haben würde, auch wenn nicht ein zweiter Brief von Ihnen eingetroffen wäre. Neues kann ich Ihnen natürlich nicht sagen; ich beschränke mich darauf das Alte in einer etwas andern Form zu wiederholen.
Ich habe die Einleitung zu Werken Anderer nicht als Stilgattung studirt; da ich Autodidakt bin, so lasse ich mich überhaupt nicht gern durch Autoritäten leiten. Ich pflege mich an die Sachen, statt an die Personen zu halten.
Eine Einleitung von wenigen Seiten, mit allgemeinen Redensarten angefüllt, zu der es nicht einmal nöthig gewesen wäre, das Buch näher anzusehen, — eine solche war, nach gemeinsamer Uebereinkunft, ausgeschlossen; die Einleitung sollte eine ausführlichere werden. Ich hätte darin über irgend Etwas sprechen können, was mit dem Buche selbst nur in entferntem Zusammenhang stand — Beispiele dafür werden Sie wohl in der Litteratur der Einleitungen finden. Indessen schien es mir geboten, vor Allem (neben Bemerkungen über die rumänischen Studien im Allgemeinen) Ihr Buch selbst zu besprechen. War das nicht auch Ihre Idee? Sie haben ja doch selbst den Titel gewählt: "Über Hasdeu’s Texte u. Glossen"2; und Sie wollten ja mit dem Index auf das Vollenden meiner Einleitung warten3; es musste doch also hier Sachliches vorkommen und zwar Anderes und anders Aufgefasstes, als bei Ihnen, sonst hätten Sie mich ja nicht im Index zu citiren brauchen.
Sie behaupten nun, diese Besprechung bestehe in einer herben, unerbittlichen Kritik, und ich selbst hätte nie eine schlimmere geschrieben4. Ich habe eine ziemliche Anzahl sehr tadelnder Kritiken in die Welt gesandt, die übrigens nie durch einen persönlichen Anlass diktirt wurden, in denen ich meiner Ueberzeugung nach immer gerecht und bei Weitem nicht so scharf war, als Sie z.B. gegen Picot5, de Cihac6 u.A. Um diese aber handelt es sich hier nicht! Meine Kritik Ihres Buches ist eine vollkommen anerkennende und ich bitte Sie, dieselbe nur mit denjenigen über Miklosich’s Albanische Forschungen7, Rhys’ (der ein alter und sehr guter Freund von mir ist) Lectures on Welsh philology (seine ganze Oghamtheorie habe ich für unerweisbar erklärt)8 Darmesteter[s] Mots composés9 u.s.w. zu vergleichen. Dieselben sind alle anerkennend und keiner der Verfasser hat es mir übel genommen, dass ich eine ziemlich grosse Menge von Ausstellungen gemacht habe. Es kommt doch auf das Gesammturtheil an, ist dieses günstig, so wird es dadurch nicht aufgehoben, dass man über ein Dutzend Seiten mit dem Verfasser nicht derselben Meinung ist. Es liegt nun aber in der Natur der Sache, dass das Lob, auch das schmeichelhafteste und rückhaltloseste immer nur einen kurzen Raum einnehmen kann, indem ja der Hinweis auf das Buch selbst genügt. Die Ausstellungen aber, welche sich auch nur auf einzelne Punkte beziehen, beanspruchen, da sie oft lange Motivirungen erfordern, einen weit grössern Raum. Wenn ich sage, "noĭan von alb.uĭana hat meinen vollen Beifall"10, so braucht es eine Zeile dazu. Will ich aber auseinandersetzen, wesshalb ich barḑâ = bard nicht annehmen kann, so braucht es vierzig oder fünfzig oder sechzig Zeilen11. Fasst man also bloss das räumliche Verhältniss in’s Auge, so wird immer das Lob sehr hinter den Ausstellungen zurückstehen.
Nun frage ich Sie, ist mein Gesammturtheil ein ungünstiges oder ein günstiges?
Und habe ich dieses günstige Gesammturtheil nicht so ausführlich dargelegt, wie es nur irgend möglich war?
Habe ich es nicht, auch wo ich auf’s Einzelne eingegangen bin, durch verschiedene Beispiele gestützt?
Was die Ausstellungen anlangt, so dürfen Sie sich doch nicht über die Zahl derselben beklagen. Die Zahl derjenigen Etymologieen an denen ich Nichts ausgestellt habe und die ich also — das Lob ist ja der Grundton! — acceptire, ist doch eine unvergleichlich grössere.
Findet sich ferner in diesen Ausstellungen irgendwelche Spur eines herben Tadels? In Bezug auf einige Punkte habe ich mich allerdings entschieden ausgesprochen und Sie selbst geben ja zu, dass ich in Bezug auf einige Punkte "vollkommen Recht habe". In andern Fällen habe ich mich nur zweifelnd und vermuthend geäussert, ja sogar Ihrer Erklärung den Vorzug vor einer andern nur möglichen gegeben. Wenn Sie mir freilich Schuld geben dass ich funicel = furuncellus nur erwähnt habe, "pour affaiblir l’évidence de funicel = fungicellus"12, wenn Sie mir also eine böswillige Tendenz zuschreiben, so lässt sich kaum Etwas darauf erwidern. Es verhält sich gerade umgekehrt. Ihnen wohl, aber nicht mir war funicel = fung. ganz evident, mir war es nur wahrscheinlich, weil mir für n = ng ein anderes Beispiel fehlt13; und desshalb wollte ich, wie man sagt, ein Hinterpförtchen offen lassen. Sie fragen "Oare nu cum-va d’intr’un celtic barza se va fi născut actualul spaniol garza, barḑă, pătruns apoĭ şi’n Italia?"14 Nun eine Frage will doch eine Antwort und an wem war das wohl eher eine solche zu geben, als an mir, Ihrem Prologus15? Doch auch diese Antwort scheint Ihnen nicht zu behagen. Und so könnte ich noch zahlreiche Fälle anführen, über die ich Ihre Empfindlichkeit durchaus nicht begreifen würde.
Wie dachten Sie sich denn die Sache eigentlich? Sollte ich denn Alles, was nicht in einer vollkommenen Billigung bestand weglassen? Sollte in der Einleitung jene Meinungsverschiedenheit zwischen Ihnen und mir, auf die Sie doch aus meinen Anzeigen vorbereitet sein mussten, gar nicht zur Sprache kommen? Fast vermuthe ich das; denn anders würde ich Ihre Unzufriedenheit schon mit der ersten Hälfte nicht verstehen, Sie finden hier Nichts wie Kritik. Und doch enthalten S. II-IX allgemeine Bemerkungen IX-XII eine Erörterung über die Zeichen für ă, in welche einige Zweifel über Erklärungen von Ihnen eingeflochten sind, sodann XII-XIV noch einige abweichende Meinungen, XIV-XVI wieder ganz von den Ihrigen unabhängige Bemerkungen16.
Hätte ich nur loben wollen, so hätte ich doch damit keine Einleitung füllen können. Und durfte ich es? Ich denke, wenn ich — was doch der Sinn einer solchen Einleitung ist — das Buch einem weiteren Kreise vorlege, so muss ich meine Meinung mit völligster Offenheit aussprechen. Ich muss doch vor Allem auf diejenigen Punkte hinweisen, die mir eine wiederholte Prüfung zu verdienen scheinen. Darin besteht ja der Nutzen der Einleitung, dass sie den Aus- und Weiterbau, sowie den stellenweise Umbau des vom Verfasser errichteten Gebäudes vorbereitet. Auch mir selbst war ich es schuldig, dasjenige nicht mit vollkommenem Stillschweigen zu übergehen, worüber ich anderer Ansicht bin als Sie; man hätte mich ja für verschiedene Ihrer Etymologieen mitverantwortlich machen können, die ich nicht annehmbar finde. Und endlich, wenn man einmal mit ziemlicher Mühe eine solche umfangreiche Veröffentlichung durchgemacht hat, sollte man sich auf einige anerkennende Phrasen beschränken, die schliesslich Einer schreiben könnte, der das Buch nur durchblättert hat. Man sollte alles das Eigene, was man gefunden hat oder gefunden zu haben glaubt und was in dieser oder jener Hinsicht fruchtbar sein kann, unterdrücken? Es ist nicht so schwer, Jemanden aufzutreiben, der Einem eine schmeichelhafte Vorrede schreibt; aber die Hauptsache ist, wird er auch bei andern Gelegenheiten dasselbe Urtheil fällen? Was mich betrifft, so rede ich Einem in’s Gesicht nicht anders als hinter dem Rücken.
Wenn Sie nun mit meinen Ausstellungen — was ich ja völlig begreife — auch nur zum Theil einverstanden sind, so sollten Sie die Sache doch nicht so darstellen, als ob irgend welche Böswilligkeit von meiner Seite mitunterliefe. Es handelt sich doch nur darum, dass mehr Meinungsverschiedenheiten zwischen uns bestehen, als Sie anfangs glaubten; dafür kann ich aber ebensowohl Sie, als Sie mich zur Rechenschaft ziehen. Ich kann mich nicht zwingen, wissenschaftliche Objekte in einem andern Lichte zu sehen, als in dem, in welchem sie mir eine, wie ich meine, sorgsame Prüfung zeigte. Ich suche nicht nach Fehlern, wie Sie mir Schuld geben; ich finde sie. Und was das "nodum in scirpo" anlangt17, so liegt es in der Natur der linguistischen Untersuchungen, dass auch die kleinsten Dinge in’s Gewicht fallen; Sie selbst üben das "nodum in scirpo" und ich bin weit entfernt, Sie desswegen zu tadeln.
Auf die Gefahr hin, Sie zu verletzen, wiederhole ich Ihnen, dass Sie zu leidenschaftlich und nicht vollkommen gerecht sind. Ich würde das jetzt, wo es sich um mich handelt, nicht sagen, wenn ich das Ihnen nicht schon gesagt hätte, wo es sich um Andere handelte. Dieser Mangel an Kaltblütigkeit ist fast das Einzige, was Ihrer glänzenden wissenschaftlichen Begabung fehlt; ich halte es für eine Pflicht der Freundschaft, Sie darauf aufmerksam zu machen. Was soll denn aus der wissenschaftlichen Forschung werden, wenn wir Alle das Persönliche in dem Grade betonen?
Ich bitte Sie, Ihre Freunde, denen Sie mein Manuskript mittheilten, auch diesen Brief zu meiner Rechtfertigung mitzutheilen.
Was zu thun ist, habe ich Ihnen gestern schon gesagt: Antikritik nach meiner Einleitung oder in den Addenda et Corrigenda18 — oder Zurücksendung des Manuskriptes ohne Beziehung darauf in den Addenda u. Corrigenda. Im letzteren Falle würde ich an Ihrer Stelle in der Vorrede sagen:
"Die Einleitung konnte nicht gedruckt werden, indem sie über eine (grosse) Menge einzelner Punkte eine Kritik fällte, die mir grossentheils ungerechtfertigt erschien.
Glauben Sie mir, es ist immer das Beste die ungeschminkte Wahrheit zu sagen. Oder wollen Sie sagen, ich sei zu faul gewesen (oder Ähnliches), um die Einleitung zu schicken? Das wünschte ich nicht.
Das offene Aussprechen der Wahrheit verhindert auch am Ehesten das Umsichgreifen einer Missstimmung, welches ich im höchsten Grade bedauern würde. Was ich, nach dem Geschehenen und im Einklang mit meinen Grundsätzen, thun kann, Sie zu befriedigen, werde ich thun; zu jeder Änderung im Einzelnen, die mir wirklich motivirt erscheint, bin ich gern bereit.
Mit freundschaftlichstem Grusse
Ihr ergebenster
Hugo Schuchardt
1 Si riferisce evidentemente alla lettera XXXI.
8 Una recensione al vol. di J. Rhys, Lectures on Welsh philology, London 1877 [18792], era stata pubblicata dallo Schuchardt su « LCBl » XXVIII (1877), pp. 1250-5. La discussione sulle origini dell’alfabeto ogamico è tuttora aperta.
9 Il Traité de la formation des mots composés dans la langue française comparés aux autres langues romanes et au latin di A. Darmesteter, Paris 1875, era stato discusso dallo Schuchardt in una rassegna pubblicata su « LCBl » XXVIII (1877), pp. 183-6.
10 Cf. CdB S, p. xix, a proposito di
rum.noián "oceano", che il Hasdeu aveva derivato dal sinonimo alb.ujan(ë) ← alb.uj "acqua" (CdB I, p. 295, 130); ma l’alb.ujan(ë) è costruzione dotta di G. de Rada (cf.
Brâncuş,
VA, p. 105
).
Anche se molti studiosi hanno poi confermato l’interpretazione del linguista romeno, la lessicografia piú recente concorda nel non fornire un etimo (cf. DER 5711
, DA,
DEX, s.v.
).
13 V. lettera di risposta del Hasdeu (XXXV) e replica dello Schuchardt ( XXXVI).
15 Cf. CdB S, p. xxiii; ma vedi anche lettere XXX (e n. 27) e XXXII, punto 12.
16 Sono riferimenti esatti già alla paginazione del testo a stampa dell’introduzione.
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