Sextil Pușcariu an Hugo Schuchardt (17-09066)

von Sextil Pușcariu

an Hugo Schuchardt

Tirol

05. 04. 1917

language Deutsch

Schlagwörter: Sprachen in Südeuropa Sprachen in Nordafrikalanguage Vulgärlateinlanguage Rumänischlanguage Spanischlanguage Französisch Schuchardt, Hugo (1917) Darmesteter, Arsène/Hatzfeld, Adolphe (1890–1900) Cihac, Alexandru (1879)

Zitiervorschlag: Sextil Pușcariu an Hugo Schuchardt (17-09066). Tirol, 05. 04. 1917. Hrsg. von Luca Melchior und Katrin Purgay (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4438, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4438.


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Tiroler Front, am 5. IV. 17
Adresse: Geb. Kol. Komdo 181
k. u. k. Feldpost 223

Hochverehrter Meister,

Besten Dank für die Übersendung des Sonderabdruckes "Zu den romanischen Benennungen der Milz",1 in dem ich mir wieder einige Stellen unterstrichen habe, die geradezu als Zitate oder Motto verwendet werden können. So erwünscht mir diese Lektüre grade jetzt war, so schwer fiel es mir von jeder Bibliothek abgeschloßen zu sein, um die Anregungen, die man beim Lesen jeder Ihrer neuen Ab|2|handlung bekommt, gleich weiter verfolgen zu können und manche Notizzen, die im Schreibtisch liegen, zu ergänzen. (ad p. 159)2 Auf eine Verwechslung zwischen cōleus und ren (neben coleus und splen) weist franz. rognons de coq (vgl. Dictionnaire gén.3) hin und darauf hatte ich früher die Etymologie rum.râncaş, râncaciu "Klopfhengst" ← *renĭcus aufgebaut.4 Das "Krehnfleisch" unserer österr. Speisekarten dürfte wohl auch Krahnfleisch (ad p. 1685) sein, mit Umgestaltung des Namens nach dem Krehn (Meerrettig), mit dem es serviert wird. –

Sehr bedauere ich, daß Ihr Brief, |3| von dem die Karte, die gleichzeitig mit der Broschüre ankam, erwähnt, verloren gegangen ist. Leider habe ich es in meinem 30 monatlichen Felddienst zu keiner solchen Berühmtheit bringen können, daß mein Name, ohne Anführung der Feldpostnummer, für die sichere Beförderung der Sendung genügen würde.

Meine Frau mit den Kindern6 ist seit Jänner in Meran.7 Sie hat sehr große Gewissensbisse, daß sie Ihren liebenswürdigen Besuch nicht erwidert hat, doch mußte sie die Reise so plötzlich antreten, daß sie nicht mehr dazu kam. Unser Junge8 hat sich nämlich einen Lungenspitzen|4|katarrh geholt und mit schwerer Mühe und nach vieler Schreiberei erhielt ich für ihn und seine Mutter die Einreisebewilligung nach Meran (enges Kriegsgebiet). Jetzt hat sich der Pazient ganz erholt und von Zeit zu Zeit kann ich auch einen kurzen Sprung nach M. machen. Leider geht die Aufenthaltsbewilligung nur bis Ende dieses Monats, dann muß ich für meine Familie wieder eine neue Stadt zur Unterkunft – wahrscheinlich Innsbruck – suchen. Hoffentlich nicht für zu langer Zeit und hoffentlich bringt der ersehnte Frieden diesem Zigeunerleben ein Ende.

Ihr sehr ergebener
Puscariu


1 Schuchardt (1917b).

2 Schuchardt macht an dieser Stelle die Beobachtung, dass das Wort für 'Niere' in südeuropäischen und nordafrikanischen Sprachen oft auch in der Bedeutung von 'Hode' verwendet wird und dass die jeweiligen Bezeichnungen zusätzlich noch lautliche Ähnlichkeiten aufweisen (vgl. Schuchardt 1917b: 158-159).

3 Im Dictionnaire général wird rognon über das vulg. lat. *reniọ(nem von ren abgeleitet und hat drei Bedeutungen: "|| 1° Glande rénale des animaux. Le rein ou – de ce côté gauche (du bœuf), buff. Bœuf. || (Cuisine.) Des rognons de veau, de mouton, sautés. || En parlant de l’homme. P. plaisant. Les reins. Les mains sur les rognons, régnier, Sat. 8. || 2° P. ext. Testicule. Des rognons de coq. || 3° P. anal. Fragment de roche arrondi qui se rencontre dans certaines couches minérales" ( Hatzfeld/Darmesteter 1895: 1971-1972).

4 In seinem Etymologische[n] Wörterbuch schreibt Puşcariu s.v. rîncáciŭ: "rîncáciŭ adj. 'einhodig, halbkastriert (von Pferden), geil', nach Cihac II, 187 auch răncău sm., nach Damé s. v. auch rîncáş sm., alles Ableitungen von einem ausgestorbenen *rînc ← *renĭcus, -a, -um (von ren): sp.rengo 'kreuzlahm'. Die Konfusion zwischen 'Niere' und 'Hode' tritt auch im frz.rognons de coq = 'testicules de coq' zutage; in Charmoille, Doubs ist rognon = 'Hode'. Verfassers: Lat. Ti und Ki, S. 147. [...]" ( Puşcariu 1905: 131 ; vgl. auch Puşcariu 1904a: 147 ).

5 Nachdem Schuchardt auf eine im Slawischen einzigartige slowenische Bezeichnung für die 'Milz', nämlich "cranica (auch vrana, vranec, cranka), welches zu cran, schwarz, Rabe, vrana, Krähe, vranec, Rappe, gehört" ( Schuchardt 1917b: 167) eingegangen ist, führt er ähnliche Etymologien für das 'Zwerchfell (insb. des Schlachtviehs)' in oberösterreichischen – Krafleisch bzw. Kranfleisch – und Schweizer Dialekten – Chräjen-Fleisch, Chräje, Krehe – an (Schuchardt 1917b: 168).

6 Sextil und Leonora Puşcariu hatten zwei Kinder, Radu (geboren 1906) und Lia (geboren 1907, vgl. Faiciuc 22000: XXVIII ); letztere (verheiratete Manoilescu) zählte später zu den Mitarbeitern des DA (vgl. Avram 1998-1999 , Niculescu 1998-1999: 187 ).

7 Vgl. Puşcariu (1978: 162) : "Pe lîngă toate astea mai veni încă o grijă. Întors din Trient, într-o seară, aflai trei scrisori de la Leonora. Le citii şi rămăsei că opărit. Radu era bolnav. Doctorul constatase o apicită. Leonora, biata, căuta să-mi facă curaj, sar din scrisorile ei citeam toată deznădejdea ei. Toate grijile pentri cei rămaşi la Braşov, pierderile României şi acum şi boala asta.
Hotărîrăm atunci să se aşeze ei la Meran, unde era o climă priincioasă pentru Radu şi erau mai aproape de mine. Per la sfîrşitul lui decembrie plecarăm din Graz, în ziua în ianuarie 1917 eram în Innsbruck, iar în 2 ianuari în Meran".

8 Radu Puşcariu.

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