Sextil Pușcariu an Hugo Schuchardt (08-09062)
von Sextil Pușcariu
an Hugo Schuchardt
02. 12. 1908
Deutsch
Schlagwörter: Valenzwechsel Italienisch
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Zitiervorschlag: Sextil Pușcariu an Hugo Schuchardt (08-09062). Tschernowitz, 02. 12. 1908. Hrsg. von Luca Melchior und Katrin Purgay (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4429, abgerufen am 27. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4429.
Sehr geehrter Herr Professor,
Besten Dank für Ihren afflare-Artikel.1 Er hat mich gänzlich überzeugt. Es fehlt noch der tatsächliche Beweis; doch glaube ich, dass derjenige der "nachzuwittern" im Stande ist, sicherlich auf Ihre Spuren gehen wird. Obwohl ich keine Ergänzungen zu bringen im Stande bin, erlaube ich mir Ihre Aufmerksamkeit auf einiges zu lenken, aus dem Sie vielleicht etwas herausholen können:
1.) Ungemein willkommen war mir der Excurs über trans. – intrans. Im Laufe meiner lexikographischen Arbeit bin ich oft zur Überzeugung gekommen, dass viele Sinnesübergänge nur auf diesem Wege zu erklären sind (vgl. ajunge, alergà etc.) und zugleich zur Ansicht, dass es gänzlich verfehlt ist, wenn der Lexicograph seine Beispiele beim Verbum vorerst in die drei Hauptkategorien: trans./intrans./refl. zergliedert und dann die einzelnen Sinnesgruppen in jeder dieser Haupklasse festzustellen sucht.2
2.) Aus der Jägersprache habe ich den Sinnesübergang von inganno und tumba zu erklären versucht (Etym. Wb. No 8543, weniger überzeugend No 17704) und es werden sicherlich noch andere so gedeutet werden müssen.
3.) Für afflare scheint mir folgender Weg wahr|2|scheinlich: flare = "blasen = atmen" – "oft und kurz die Luft ein- und ausatmen" – "schnüffeln (vom Hund)" – ad-flare: "anschnüffeln (den Geruch, die Spur)" – "der Spur nachgehen" – "suchen" – "finden".
Zu vergleichen wäre aus dem Rumänischen:
a.) Wenn Hasdeus Etymologie5 richtig ist, wie ich glaube: olere – *olmen "Geruch" (> altrum. olmu) – *olmo "rieche (trans.)" und *olmĭco – *adolm(ic)o "rieche an"> "spüre nach": rum.adulmec und adulmu (Vgl. Dicţ. Acad.6 S. 50: éventer > suivre à la piste > flairer, in dieser letzten Bedeutung schon sehr nahe an "aflá", so dass im vorletzten Beispiel, aus Odobescu, sehr gut stehen könnte: Craiovenii află orĭce mişcare a Domniei = erfahren, zunächst: bekommen Wind.) 7
b.) Eine zweite Wortgruppe, die dieselbe Bedeutung hat, ist im Rum.: (a)muşuluì, (a)muşinà, hauptsächlich von der Katze gebraucht. Daher dachte ich einen Augenblick an mus, doch ist dies wohl morphologisch unmöglich. Muşuluì sieht ungarisch aus (es findet sich bei den ungarischen Rumänen), doch liegt ung. mosoly "Lächeln" begrifflich zu weit, da man kaum einen Vergleich zwischen dem "schnüffelnden Hund" und dem "lächelnden Menschen" annehmen darf. Im Dicţ. Acad. (wird in Faszikel III erscheinen) nahm ich, unter aller Zurückhaltung, an: "vielleicht ist darin das nicht ganz klare ital.musso, frz.museau etc. zu erblicken"8, also etwa (vom Hunde) "schnauzen" im Sinne von "schnüffeln".
Hochachtungsvoll
Sextil Puşcariu
Czernowitz, am 2. XII. 08
Dominiksgasse 6.
2 Schuchardt hatte sich in seinem dritten afflare-Artikel (Schuchardt 1908c) mit – in der heutigen Terminologie ausgedrückt – den Valenzveränderungen von Verben und den damit einhergehenden semantischen Entwicklungen befasst. Er hatte reflexive Verben als "Zwischenstufe" angenommen, die die Valenzveränderung von transitiv zu intransitiv (bzw. umgekehrt) möglich machen. Valenzveränderungsfälle finden sich bei den von Puşcariu hier genannten Verben: So bei a ajunge 'ankommen, gelangen' (intransitiv), aber auch 'erreichen, treffen' (transitiv) und 'sich begegnen, sich treffen' (reflexiv) oder bei a alerga 'laufen, rennen' (intransitiv), aber auch '(eine Strecke) zurücklegen, jdn. verfolgen', wobei die ursprüngliche Bedeutung "erà, în funcţiune factitivă, 'a silì pe cinevà sau cevà să se depărteze" […] ( DA 1913: 109 ). Die einzelnen Valenzen und Bedeutungen werden in den Artikeln des DA (1913: 80-83; 109-110) durchaus getrennt dargestellt. Über die (theoretischen und praktischen) lexikographischen Herausforderungen bei der Erfassung solcher Fälle vgl. die Überlegungen in Puşcariu 1922a , insbesondere 9-13, 35-38).
3 In Puşcariu (1905: 74) liest man: "854. îngîn I vb. 'nachahmen', dabei 'Fratzen schneiden', und 'murmeln' ← ganno, -are (für gannio, -īre: ar. ( a)ngînescu 'stöhnen'): it. ingannare, pv. enganar, a.-frz. enjanner, sp. engañar, pg. enganar. Überall 'betrügen'. Die ursprüngliche Bedeutung scheint diejenige zu sein, die sich vorfindet in Rum., in cerign. ngañarse 'zornig werden' (kaum zu cane gehörig, wie Arch. glott. ital. XV, 227 angenommen wird), bourberain njene 'nachahmen' und in vielen Glossen, die bei Dens. H. l. r. 191-l92 angeführt werden, (auch gannīre = ahd. grînan, vgl. altnord. grina 'dentes nudare ridente', Archiv lat. Lex. X, 515 ). Aus 'Gesichter schneiden, necken (vgl. ziua să îngînă cu noaptea = 'der Tag bricht an', eigtl. 'der Tag neckt sich mit der Nacht'), spotten', soll nach Dens. H. 1. r. 192, 506 (wo alb.k'iš = 'spotten' und 'betrügen' verglichen wird) die Bedeutung 'täuschen' entstanden sein. Wahrscheinlich haben wir einen Jagdausdruck vor uns und dann wird es verständlich, daß aus 'die Stimme nachahmen' – 'locken' – 'durch Lockung ein Tier täuschen' ein: 'täuschen' entstehen konnte".
4 Vgl. Puşcariu (1905: 165) : "1770. ar. túmbă sf. [mgl. ~] 'Grab, Burzelbaum' ← tŭmba, -am: it. eng. pv. tomba, sard. tumba, frz.tombe, cat.tomb, sp.pg.tumba. Im Daco-rum. existiert ein Adv. de a tumba 'kopfüber', welches, wie schon Cihac I, 290 bemerkt hat, von dieser Wortsippe nicht getrennt werden kann. Sp.tumbo, pg.tumba heißt 'Burzelbaum' und dieser Sinn liegt auch frz.tomber 'fallen' zugrunde, das im a.-frz. 'faire la culbute' bedeutete, wie a.-ven. tombar, piem.tombé, sp.tumbar noch heute den Sinn 'purzeln' neben 'fallen' = it. tombolare hat. Man hat die rom. Wörter von ahd. tumon ableiten wollen ( Braune: Zeitschr. rom. Phil. XXII, 206 ), doch muß diese Etymologie, da das Wort auch im Rum. vorkommt, aufgegeben werden. (Vielleicht hat sich das germ. Wort mit dem Rom. gekreuzt, worauf die Nebenformen mit u in d[i]en westrom. Sprachen weisen.) Die Bedeutungsentwicklung erklärt sich wohl als Ausdruck der Jagd, indem der geschossene Hase, der Burzelbäume schlägt bevor er fällt, als Ausgangspunkt gedient haben mag (ähnlich die geköpften Hühner), – oder man hat einen ähnlichen Fall wie im ital.salto mortale vor sich".
5 Im ersten Band von Hasdeus Etymologicum magnum Romaniae (Hasdeu 1886: 386-387) liest man: "În secolul XVI maĭ exista încă la noĭ substantivul olmu 'odeur'. Îl găsim la Radu din Mănicescĭ […].Vechĭul român olmu, învederat dela latinul 'oleo', presupune un prototip olmen, cu 'ol-' ca în 'ol-facio' şi cu sufixul '-men'. Latinul vulgarolmen se referă cătră medio-latinul olimentum 'miros' […] ce-va ca: 'tegmen' cătră 'tegimentum'. Din numele olmu vine: de'ntâĭu verbul ulmare, apoĭ ulmecare prin sufixul verbal deminutival -ec (= lat.-ico) ca în 'orbec', şi de aci în fine, prin preposiţionalul ad- sau a-: adulmec, alăturĭ cu forma aulmec la mitropolitul Dosofteĭu. v. 1Ad. – Aulmec. – Olmu. – Ulmec...".
6 Im DA (1913: 50) wird s.v. adulmecá die Bedeutung "'Flairer, quêter, halener, éventer, suivre à la piste, dépister'" angegeben. Als Etymologie wird "Lat. *adolmĭcare […]" vorgeschlagen.
7 Im DA (1913: 50, s.v. adulmecá) , ist folgende Stelle zu finden: "Craiovenii, ca copoi, adulmecă orĭce mişcare a domniei. ODOBESCU, I. 82/21". Das Zitat stammt aus der Erzählung Mihnea-Vodă cel rău. 1508-1510 von Alexandru Odobescu und lautet dort (wir zitieren aus den Opere complete, vol I, 1906: 35 ) "Ascultă-mă tu bine; vezĭ că nu maĭ e de dus mult cu Craioveniĭ; aŭ prins de veste de toate, şi ca copoiĭ, adulmecă orĭ-ce mişcare a domnieĭ".
8 Im DA (1913: 157) liest man tatsächlich s.v. amuşiná (worauf beim Lemma amuşuluí verwiesen wird): "Etimologia necunoscută. Poate stă în legătură cu ital.muso, 'bot', fran.museau, 'bot', a căror etimologie de asemenea nu e clară".