Richard Riegler an Hugo Schuchardt (49-09636)

von Richard Riegler

an Hugo Schuchardt

Klagenfurt

16. 09. 1922

language Deutsch

Schlagwörter: Dankschreiben Mythologie Sprichwörter Wörterbücher Lexikologie Zeitschrift für romanische Philologie Etymologie Semantiklanguage Italienische Dialektelanguage Friulanisch Spitzer, Leo

Zitiervorschlag: Richard Riegler an Hugo Schuchardt (49-09636). Klagenfurt, 16. 09. 1922. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4384, abgerufen am 11. 12. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4384.


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Klagenfurt, 16.9.1922.

Hochverehrter Herr Hofrat!

Vielen Dank für die wertvollen Bemerkungen zu „ marántega“.1

Mein Wissen von dieser mythischen Figur beruht auf eigenen Umfragen. Die Bedeutung „Lichtreflex“ ist sicher, wenn auch noch nicht gebucht.

Sowohl unsere Schüler in Pola als auch meinen Kindern ist marántega in beiden Bedeutungen geläufig. Meine beiden Söhne sind ganz germanisiert, doch die Angst vor der Marántega steckt ihnen noch immer in den Gliedern.

Ich habe übrigens, da ich meinem Gedächtnis nicht ganz traute, bevor ich den Artikel schrieb, sämtliche italienische Verwandte über den Marántegamythus ausgefragt.

|2|,Aver la m. in gola‘ ist meiner Frau nicht bekannt, somit wird diese Redensart wohl in Triest, nicht aber in Pola gebräuchlich sein.

Sehr interessant ist mir das von Herrn Hofrat zit. friaul. marántule, das meinen Glauben an mara + incuba noch mehr erschüttert. (Die Zahl der mir zugänglichen italienischen und sonstigen romanischen Dial.Wb. ist leider sehr beschränkt).

Die oben zitierte Redensart müßte in die M.-frage auch einbezogen werden.

Wenn bell. rantolo = befana ist, so wird man wohl in marántega eine zumindest volksetym. Einmischung von rántego = rántolo annehmen müssen.

Interessant wäre es zu erfahren, wie die friaul. Entsprechung von ital. rantolar lautet.

Krankhafte Zustände werden ja häufig vom Volke der Einwirkung elbischer Geister zugeschrieben.

Incubus wäre dann ganz auszuschalten, obwohl gerade wieder das Röcheln ein bekanntes Alpsymptom ist.

|3| Das von mir über „ incubus“ Vorgebrachte kann man, meine ich, auch immer als eine vielleicht nicht immer ganz unerwünschte Zusammenstellung und Besprechung der romanischen Alpnamen gelten lassen.

Durch Ihre wertvollen Fingerzeige fühle ich mich ermutigt, das M.-Problem weiter zu verfolgen.

Mehr würde allerdings dabei herausschauen, wenn Herr Hofrat selbst dem interessanten Gespenst an den Leib rücken wollten.

Eine Ergänzung aus Ihrer Feder in Zschf. f. rom. Phil. oder sonst wo würde ich mit Freude begrüßen.

Auch Spitzer interessiert sich für die M., gegen ,incubus‘ verhält auch er sich skeptisch.

Nur möchte ich die Frage aufwerfen, was den brianz. lente y „Alp“ (REW 4365) ist, wenn nicht incubus. Es müßte dann vom comask. lenkof getrennt werden, das doch sicher = incubus ist.

Ich bitte Herrn Hofrat um eine gelegentliche Äußerung, vorausgesetzt daß es Ihre Zeit und der Zustand Ihrer Augen erlauben.

Mit den besten Empfehlungen von mir und meiner Familie

in Verehrung Ihr

Riegler


1 Offenbar hatte Schuchardt Riegler Ergänzungen zu seinem Artikel „ Venez.,marántega‘ und Verwandtes “, AR 4, 1920, 490-492 mitgeteilt. Marántega ist ein regionaler Name für die Beffana (Hexe), deren Fest in Italien am Dreikönigstag gefeiert wird und dem Nikolaus im deutschsprachigen Raum entspricht. Vgl. auch Riegler, „ Romanische Namen des Alpdruckes (Incubus) “, ASNSpr 167, 1935, 55-63; „Venez. Marántega ,Alpdruck‘ , eb. 168, 1935, 79.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09636)