Richard Riegler an Hugo Schuchardt (28-09615)

von Richard Riegler

an Hugo Schuchardt

Klagenfurt

03. 10. 1919

language Deutsch

Schlagwörter: Dankschreiben Publikationsversand Literaturbeschaffung Politik- und Zeitgeschichte Kaiserliche und Königliche Hof-Bibliothek (Wien) Fernleihe Postwesen Persönliche Treffen Österreichische Akademie der Wissenschaften (Wien) Publikationsvorhaben Habilitation B. G. Teubner Verlag Universitätsangelegenheiten Universität Graz Slawische Philologie Gründung von Seminaren und Instituten Romanische Philologie Universität Straßburglanguage Rumänischlanguage Italienischlanguage Lateinlanguage Französisch Schürr, Friedrich Meyer-Lübke, Wilhelm Zauner, Adolf Spanien Schürr, Friedrich (1917)

Zitiervorschlag: Richard Riegler an Hugo Schuchardt (28-09615). Klagenfurt, 03. 10. 1919. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4363, abgerufen am 02. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4363.


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Klagenfurt, 3.10.19.

Hochgeehrter Herr Hofrat!

Besten Dank für die freundliche Übersendung Ihrer wertvollen Abhandlung.1 Ich kann Ihren unermüdlichen Schaffenstrieb nicht genug bewundern. Ich fühle auch – si licet parvos componere magnis – den Drang in mir, etwas zu arbeiten, werde aber durch die Ungunst der Verhältnisse fortwährend daran gehindert. Aus dem fremdsprachlichen Auslande sind jetzt keine Bücher zu bekommen. Auch versendet die Hofbibliothek während des Krieges nichts unter dem Vorwande, die Sendungen seien durch die Unsicherheit der Postverhältnisse gefährdet. – Ich fühle mich hier mit meinen wissenschaftlichen Bestrebungen überhaupt ganz isoliert und bin überglücklich, wenn ich aus- |2| nahmsweise einen Menschen treffe, mit dem ich über Romanistik reden kann. So hatte ich in den Ferien das Glück, die Bekanntschaft eines gewissen DrSchürr2 zu machen, der Lektor an der Universität Straßburg ist. Dieser junge Gelehrte, der die hiesige Realschule absolviert und bei M.-Lübke studiert hat, bereitet eine eingehende Darstellung des romagnolischen Dialektes vor, die von der Wiener Akademie der Wissenschaften veröffentlicht werden wird.3 Er gedenkt sich in Bälde zu habilitieren. Durch seine Vermittelung machte ich die Bekanntschaft eines ungarischen Barons, eines älteren Herrn, der sehr geläufig spanisch spricht, wie er überhaupt für sonst nichts Interesse hat als für Spanien, wo er neun Winter verbracht hat. Nun ist er untröstlich, daß er durch den Krieg vom Land seiner Sehnsucht abgeschnitten ist. Auch spanische Bücher bekommt er nicht mehr und als ich ihm solche aus meiner Bibliothek anbot, wurde er beinahe zu Tränen gerührt. Er liest das Spanische immer laut, auch im Freien, |3| wohl um sich am Wohlklang der Sprache zu berauschen. Durch ihn kam auch ich wieder ins spanische Fahrwasser. Auch meine beiden Buben wurden von der Begeisterung angesteckt und baten mich, ihnen Spanischstunden zu geben, was ich mit Freude tat. Wir absolvierten in den Ferien die kleine bei Teubner erschienene Runge’sche Grammatik4. Da meine Knaben in der Schule Latein und Französisch lernen und von der Mutter her Italienisch können, so ging ich gelegentlich nach der vergleichenden Methode vor, für die sie ein auffallendes Verständnis zeigten. Natürlich steht es nun bei beiden fest, daß sie Romanistik studieren wollen, das hat jedoch noch gute Wege, da der jüngere erst 13, der ältere 16 Jahre alt ist. Kommt es wirklich dazu, so werden sie viel besser ausgerüstet die Romanistik angehen als ihr Vater, der von der Mittelschule nur Latein und Französisch mitbrachte. –

Unlängst las ich in der Zeitung, daß an der Grazer Universität ein Balkaninstitut gegründet wurde. Da wird neben den südslavischen Sprachen wol auch Rumänisch gelehrt, das jedenfalls Prof. Zauner5 übernommen hat. |4| Wie gern möchte ich da mittuen, denn was ich von dieser Sprache weiß, habe ich mir rein autodidaktisch angeeignet. Ich wäre Herrn Hofrat sehr dankbar, wollten Sie mir gelegentlich etwas über den Betrieb in diesem Institute mitteilen.

In der angenehmen Hoffnung, dieses Schreiben werde Herrn Hofrat bei bestem Wolsein treffen, verbleibe ich

mit der größten Hochachtung

ergebenster

R. Riegler


1 Nicht zu ermitteln, da mehrere Titel in Frage kommen..

2 Friedrich Schürr (1888-1980), österreichischer Romanist, der in Klagenfurt das Gymnasium besucht hatte. Er war zunächst Lektor für Italienisch in Straßburg und, nach Kriegsende, in Freiburg i. Br., wo er sich kumulativ habilitierte. Es folgten Professuren in Graz, Marburg, Köln, Straßburg und Regensburg.

3 Schürr, Romagnolische Mundarten. Sprachproben in phonetischer Transkription auf Grund phonographischer Aufnahmen, Wien 1917.

4 Heinrich Runge, Lecciones Castellanas: kurze praktische Anleitung zum raschen und sicheren Erlernen der spanischen Sprache für den mündlichen und schriftlichen freien Gebrauch, Teubner 1904.

5 Adolf Zauner (1870-1940), von 1911-39 romanistischer Ordinarius in Graz. Da von diesem Balkaninstitut keine Spuren gefunden wurden, handelte es ich vermutlich um einen nicht realisierten Plan.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09615)