Frieda Morf an Hugo Schuchardt (01-07488)
von Frieda Morf
an Hugo Schuchardt
26. 06. 1918
Deutsch
Schlagwörter: Gesundheit Politik- und Zeitgeschichte Erster Weltkrieg Auszeichnungen Universität Frankfurt Morf, Heinrich Trachsler, Richard (2009) Lommatzsch, Erhard (1954)
Zitiervorschlag: Frieda Morf an Hugo Schuchardt (01-07488). Berlin, 26. 06. 1918. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4281, abgerufen am 04. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4281.
[Berlin-Lichterfelde] 26.VI.18.
Sehr verehrter lieber Herr Professor,
Ihre Zeilen vom 27. Mai sind erst heute bei uns angelangt. Ich beantworte sie gleich an Stelle meines Mannes; er kann es nicht selber thun, denn er ist sehr sehr krank.
Wir haben eine furchtbar schwere Zeit durchlebt & noch ist sie nicht vorbei. Um Ostern herum wurde mein lieber Mann katastrophengleich von einer schweren Psychose befallen.
Auf was für eine Ursache sie zurückzuführen ist, ist schwer zu sagen. Jedenfalls haben die vier bösen Kriegsjahre, die ihm außer dem Schmerz, den sie Jedem von uns brachten, soviel Leid zufügten (Frankreich, Schweiz), viel dazu beigetragen. Dazu die schwierigen Ernährungsverhältnisse, in denen er als Diabetiker lebte u. die fortwährende Überanspannung seiner Kraft.
Seit zwei Monaten ist er in einem Sanatorium in der Nähe von Berlin in der Hand trefflicher Ärzte.1 Sie geben uns Hoffnung auf volle Genesung, aber verhehlen nicht, daß wir mit langer Zeitdauer rechnen müssen. Mich hält der Glaube an seine kräftige Schweizernatur, die so manchen Stoß |2| schon siegreich überwunden, aufrecht.
Für Ihren freundlichen Glückwunsch aus Anlaß der Frankfurter Ehrung2 haben Sie vielen Dank. Sie machte meinem Mann Freude, da ein Theil seines Herzens Frankfurt gehört, wo wir so schöne Jahre verlebt haben.3
Gegenwärtig weile ich für einige Wochen bei meiner Berliner Tochter in Lichterfelde. Das Haus ist von Kindern bevölkert & im Mitsorgen für das liebe kleine Volk, das lauter Sonnenschein um sich verbreitet, finde ich die Kraft das Leid zu tragen.
In der Hoffnung, daß es Ihnen gut geht & daß Ihre Augen, denen Sie nicht zu viel zumuthen dürfen, gut Stand halten, grüßt Sie herzlich
Ihre ergebene
Frida Morf.
1 Morf wurde am 31.5.1918 in die Privatklinik (Sanatorium) Berolinum eingewiesen, wenig später in die Heil- und Pflegeanstalt Eberswalde ( Trachsler, 160).
2 Ernennung zum Dr. iur. h.c.
3 Man lese dazu die von Erhard Lommatzsch herausgegebene Korrespondenz Morfs mit Tobler, „Aus dem Briefwechsel zwischen Adolf Tobler und Heinrich Morf“, Kleinere Schriften zur Romanischen Philologie, Barlin 1954, 186-200. Aus der Vorbemerkung zu dieser Edition lässt sich schließen, dass die Familien Tobler und Morf im Jahr 1921 Lommatzsch den gesamten Briefwechsel ausgehändigt haben, möglicherweise auch andere Briefwechsel. Wo diese Unterlagen geblieben sind, konnte nicht ermittelt werden.