Heinrich Morf an Hugo Schuchardt (07-07498)
von Heinrich Morf
an Hugo Schuchardt
30. 10. 1897
Deutsch
Schlagwörter: 44. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner (Philologentag) in Dresden (1897) Vorträge Publikationsvorhaben Korrespondenzbeilagen Sachwortforschung Fachsprachen Fischfang Universitäre Lehre Universität Zürich Gesundheit Onomastik Personennamen Rätoromanische Sprachen Altfranzösisch Französisch Italienisch Thomas, Antoine Delbrück, Berthold Gauchat, Louis Farinelli, Arturo Paris Graz Gauchat, Louis/Jeanjaquet, Jules (1924)
Zitiervorschlag: Heinrich Morf an Hugo Schuchardt (07-07498). Zürich, 30. 10. 1897. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4233, abgerufen am 10. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4233.
A. Thomas1 wohnt Boulevard Raspail 213, Paris.
Prof. Dr. Heinrich Morf29 Pestalozzistrasse 29Zürich V, den 30.X.97.
Lieber Herr Kollege,
Lieber als nach Graz würde ich Ihnen diese Zeilen an den Gardasee senden; wenn Sie zurückkehren, so werden Sie gewiss die nöthige Erholung nicht haben & doch müssen wir Alle so sehr wünschen, dass Ihnen dieselbe zu Theil werde.
Auf Ihre verschiedenen Fragen kann ich Ihnen leider nicht viel Befriedigendes antworten. Delbrück habe ich in Dresden nicht gehört2: er soll sehr fesselnd & gewandt doch nicht eben neu gesprochen haben. – Unser GlossaireRomand ist noch ganz im Werden.3Gauchat hat schon Mancherlei aber noch nichts systematisch gesammelt. Als unsere Behörden wünschten, dass wir ihnen doch irgend einen provisorischen Artikel4 ein[e] Idee von der äussern Disposition & der innern Gliederung des Opus verschafften, da hat Gauchat mit Hülfe einiger Korrespondenten Einiges über die Kuh zusammengerafft: ich lege Ihnen das Spezimen |2| hier bei.5 So ist G. denn auch nicht über die Ausdrücke der Fischjagd unterrichtet. Er wusste mir nur traχlã(filet pour la pêche, corde d’un bac) zu nennen, das anklänge, das aber wohl auf torculare weist.
Farinelli schreibt mir heute aus seinem neuen Heim & zwar ohne die stereoptypen Lamentationen.6 Sind seine Briefe sonst die reinen Complaintes gewesen, so ist der neueste zwar nicht gerade wonnemondlich, aber doch jammerlos. So mag er denn wohl, was ich ihm auf die Dauer herzlich wünsche, nach seinem Vermögen glücklich sein.
Wir haben zu lesen begonnen. Mein Seminar ist gut besucht. Es sind dermalen dreizehn Dissertationen sur le métier: Patois , Rätisch, Alt- & Neufranzösisch, Italienisch – de omni scibili.
Meine Gesundheit würde mich freilich nicht hindern ein rätischer morbidus zu sein. Bedenklicher ist schon mein Schädel der nichts vom rätischen brachykephalen hat. Neben den Morf wohnen hier weit herum auch Morolf & die Deutung Moorwolf scheint mir sicher. Ich habe mich immer gefreut, dass in der Sage Morolf der klügere ist als Salomon.7
Mit herzlichen Grüssen & Wünschen, auch von meiner Frau
Ihr ergebener
H. Morf.
1 Antoine Thomas (1857-1935), französischer Romanist und Mediävist der Sorbonne, vgl. HSA, Bibl. Nr. 11658-11668.
2 Es handelt sich um einen Vortrag des Indogermanisten Berthold Delbrück (1842-1922), seit 1870 in Jena, anlässlich der Vierundvierzigsten Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Dresden vom 29. September bis zum 2. Oktober 1897. In den gedruckten Verhandlungen (S. 25) heißt es: „Sodann hielt Dr. Berthold Delbrück, Professor an der Universität Jena, einen Vortrag, von dem auf den ausdrücklichen Wunsch des Redners kein Auszug gegeben, sondern nur der Titel: Vergleichende Syntax angeführt werden soll“. – Vgl. seine Korrespondenz mit Schuchardt (HSA, Lfd. Nr. 02771-02273 ).
3 Das GPSR, Glossaire des Patois de la Suisse Romande, wurde von Louis Gauchat, Jules Jeanjaquet und Ernest Tappolet 1899 in Angriff genommen; der erste Faszikel erschien 1924.
4 Man würde ein Komma erwarten, das „eine Idee“ zur Apposition macht.
5 Nicht beigefügt. Vgl. Louis Gauchat, „Glossaire des Patois de la Suisse Romane. Notice historique“, Bulletin du Glossaire des patois de la Suisse romande 13, 1914, 4-30, hier 6 : „Un plan-programme du Glossaire et un spécimen de l'article vache avaient été soumis à l'appréciation de romanistes distingués, entre autres du regretté Gaston Paris et de M. J. Gilliéron, qui enseignait déjà brillamment la dialectologie à l'Ecole des Hautes Etudes de Paris. Par leurs excellentes directions, ces savants devinrent les parrains intellectuels du Glossaire“.
6 Arturo Farinelli (1867-1948) war 1892 von Morf in Zürich promoviert und 1896 von Schuchardt in Graz habilitiert worden und hatte sich 1897 mit Selma Henriette Friederike geb. Pörges , gen. Natter, vermählt – daher das „wonnemonatlich“!
7 Der Name Morf geht tatsächlich auf den Vornamen Morolf (wie im bekannten Spielmannsepos „Salman und Morolf“) zurück, der zu Moroff und dann zu Morf wird. Mit „morbidus“ hat er nichts zu tun.