Hugo Schuchardt an José Leite de Vasconcelos (79-20883A)

von Hugo Schuchardt

an José Leite de Vasconcelos

Graz

07. 10. 1905

language Deutsch

Schlagwörter: Publikationsversand Sprachverwandtschaft Germanisches Nationalmuseum (Nürnberg) Rijks Ethnographisch Museum (Leiden) Kreisellanguage Baskischlanguage Iberisch Vinson, Julien Giacomino, Claudio Ascoli, Graziadio Isaia Dirr, Adolf Leite de Vasconcellos, José (1897–1913) Schuchardt, Hugo (1904) Dirr, Adolf (1904) Schuchardt, Hugo (1904)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an José Leite de Vasconcelos (79-20883A). Graz, 07. 10. 1905. Hrsg. von Ivo Castro und Enrique Rodrigues-Moura (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4186, abgerufen am 29. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4186.


|1|

Graz, 7 Okt. 1905  

Lieber Freund,

Ich danke Ihnen vielmals für das schöne grosse Buch1 das Sie mir geschickt haben; nur ist mein Versuch es in ungebundenem Zustand zu geniessen, missglückt ich übergebe es daher heute dem Buchbinder. Da ich mich gerade wieder etwas lebhafter mit dem Baskischen beschäftige – ich denke eine kurze Einführung in das Studium desselben zu verfassen, so habe ich natürlich nachgeschlagen ob Sie sich über Iberer und Basken äussern2. Das ist nun, zu meiner Verwunderung, nicht geschehen; denn das was3 Sie S. 328 sagen, ist rein negatio und «a titulo |2| de mera curiosidade». Vinson hat übrigens in echtfranzösischer Weise über das Ziel hinausgeschossen,4 wenn er behauptet, que não ha trabalhos mais phantasticos do que os de Giacomino. Die meisten Arbeiter welche sich mit der Verwandtschaft des Baskischen beschäftigen sind weit phantastischer als die G.s; ja diese tragen überhaupt einen wissenschaftlichen Charakter – sonst hätte sie Ascoli gewiss nicht aufgenommen – wenn auch ihre Ergebnisse, wenigstens zum grossen Teil, nicht annehmbar sind. Ich habe seine Ansichten [­und sein Verfahren] in ausführlichen Darlegungen bekämpft, dass Beziehungen des Baskischen zum Hamitischen bestehen, aber nicht geleugnet; meine Polemik hat ihn indessen veranlasst, die Veröffentlichung der bezüglichen Studien abzubrechen – zu meinem grössten Bedauern, denn ich wollte sie abwarten, bevor ich meinerseits mich über Iberisch, Baskisch und |3| Hamitisch in einer grösseren Arbeit ausliesse. Vinson hat † mir kurz über Giacomino geurteilt und zwar mit der gewöhnlichen Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit, die mich bei ihm immer wieder von Neuem in Erstaunen setzt. Was er sich in seiner Beurteilung des Verhältnisses zwischen Giacomino und mir geleistet hat (s. Zeitschr. XXVIII, 101 f. – ich habe Ihnen ja die Miszelle geschickt), − c’est le comble.

Ich leugne nicht dass er ein ausgezeichneter Kenner des Baskischen ist, und ebenso, wenigstens mir gegenüber, in der Diskussion sehr massvoll;5 aber wenn Sie seine Autorität in der iberischen Frage oder in der Frage nach der Passivität des baskischen Transitivs 6gegen mich geltend machen wollten, so würde ich mich sehr nachdrücklich zur Wehr7 setzen.

|4| Aber sehr begierig bin ich nun doch zu erfahren ob Sie die Iberer oder sagen wir die Verwandten der Basken ganz aus Lusitanien hinaus weisen. Endovellicus z. B. scheint mir eher iberisch als keltisch zu sein; wenigstens finde ich iberische Namen ähnlichen Klanges – s. eine Miszelle die ich Ihnen unter Kreuzband schicke.

Dass A. Dirr8 Sie früher rezensiert hat, ist mir sehr merkwürdig; ich habe meinerseits als Rezensent fast 100 Seiten geschenkt. D. h. seiner Georgischen und seine Udischen Grammatik9; von der seither erschienenen Tabassaranischen werde ich mit mehr Lob zu sprechen haben.

Den jornadeador infatigavel schätze ich in Ihnen, ich selbst bin, bei meinem Gesundheits umständen, gar nicht sehr zum Reisen geeignet und geneigt, aber ich raffe mich doch immer wieder auf, um Neues mit eigenen Augen kennen zu lernen. Heuer habe ich das Germ. Mus. zu Nürnberg sowie das Reichsmuseum zu Leiden besucht.

Mit herzlichem Gruss
Ihr
H. Sch.

Bitte den Kreisel (Sache und Wort) nicht zu vergessen.


1 Era o recém-publicado vol. II das Religiões da Lusitânia (Lisboa, Imprensa Nacional, 1905), enviado ainda em cadernos soltos, para maior rapidez.

2 Comentário de Leite na entrelinha: «insultado».

3 Trad. de Leite na entrelinha: «o que».

4 Trad. de Leite na entrelinha: «ultrapassado».

5 Trad. de Leite na entrelinha: «moderado».

6 Nota de Leite na margem inferior: «Onde é que eu pus em parallelo Vinson com Schuchardt?! Vejo que Sch. tem demasiado amor proprio.» No art. cit. de Vieira et al., sugere-se que Leite dificilmente podia ignorar que, ao apoiar-se em opiniões de Vinson, como fez, iria incomodar Schuchardt, que com o francês se achava em prolongada polémica.

7 Trad. de Leite na entrelinha: «defesa».

8 A. Dirr, autor de uma Theoretisch-praktische Grammatik der modernen georgischen Sprache, recenseada por Schuchardt em Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes, 18, 1904, 241-260.

9 Udischen em alemão, Udihe em inglês.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Universidad de Lisboa. (Sig. 20883A)