Adolf Tobler an Hugo Schuchardt (04-11709)

von Adolf Tobler

an Hugo Schuchardt

Berlin

07. 02. 1877

language Deutsch

Schlagwörter: Diezstiftung Korrespondenzbeilagen Rundschreiben Universität Berlin (Friedrich-Wilhelms-Universität) Gründung von Gesellschaften und Stiftungen Beilage zur Allgemeinen Zeitung Rivista di Filologia Romanza Mussafia, Adolf Storost, Jürgen (1992) Storost, Jürgen (1989) Storost, Jürgen (1990)

Zitiervorschlag: Adolf Tobler an Hugo Schuchardt (04-11709). Berlin, 07. 02. 1877. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4039, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4039.


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Berlin, d. 7. Febr. 77.

Geehrtester Herr College,

Die Sache, die auf dem nebenstehenden Blatte in Anregung gebracht ist1, erlaube ich mir Ihnen noch mit einigen besondern Zeilen ans Herz zu legen. Daß ich es nicht schon früher, d.h. vor dem Drucke des Aufrufs gethan habe, bitte ich Sie damit entschuldigt sein zu lassen, daß ich als dermaliger Decan der hies. philos. Facultät dermaßen mit Arbeit überhäuft bin & das Wenige, was bis jetzt in der Sache der Diezstiftung geschehn ist, mich so viel Briefe gekostet hat, daß ich mich auf das Allerunerläßlichste beschränken mußte. Habe ich Unrecht gehabt anzunehmen, Sie würden auch ohne vom ersten Anfang an von dem beabsichtigten unterrichtet worden zu sein, dem Unternehmen gern Ihre thätige Theilnahme schenken? Vielleicht; man kann ja voll Pietät für den verstorbenen Meister sein & doch dem Gedanken einer Stiftung, wie sie von uns in Aussicht genommen ist, seinen Beifall versagen, die Möglichkeit einer Förderung der wissenschaftl. Arbeit durch eine solche Einrichtung bestreiten, die Bildung eines Comités grade in Berlin mißbilligen, den Beruf der hies. Academie der Wissenschaften zum Urtheil über den Werth romanistischer Arbeiten bezweifeln u.s.w. (ich habe dies alles erlebt). Aber dafür sollte meines Erachtens Jeder sich erwärmen können, daß [Deutsche] & Romanen sich wieder einmal zu einträchtigem Thun verbinden in ein[er Sache, die] beiden am Herzen liegen soll, zumal in einer Form, die es Beiden leicht macht, sich einander zu nähern. Davon konnte in dem Aufrufe nicht gesprochen werden, aber ich sage es Jedem gern, daß für mich darin ganz besondes die Bedeutung der Sache liegt. In welcher Weise Sie nun in Graz das Unternehmen etwa fördern können, kann Niemand besser wissen als Sie; vielleicht bedienen Sie sich der oder jener österr. oder der Allg. Zeitung, um einen weiteren Kreis auf die Sache hinzuweisen. Mussafia, der als Repräsentant Oesterreichs im Aufruf genannt ist, wird leider seines Augenleidens wegen nicht viel thun können.

Mit collegialischem Gruße Ihr ergebener
A. ToblerDer Brief ist bereits publiziert von Storost, Hugo Schuchardt, 1992, Nr. 2, 7-8. Der Kommentator dieser Briefe (FRH) dankt Herrn Storost für die freundliche Genehmigung, seine Texte erneut zu reproduzieren sowie für weiterführende Auskünfte. Vgl. auch Storosts Beiträge „Die Diez-Stiftung. 1. Zur Gründungsgeschichte“, Beiträge zur Romanischen Philologie, 28, 1989, 301-316, bzw. „Die Diez-Stiftung. 2. Zur Wirkungsgeschichte“, ebd. 29, 1990, 117-133. Zum besseren Verständnis der folgenden Briefe zitieren wir Storost (Hugo Schuchardt, 1992, 5-6): „ Friedrich Diez war am 29. Mai 1876 in Bonn verstorben. Die allererste Idee zur Errichtung eines wie auch immer gearteten Denkmals für den Verstorbenen ging von der italienischen ,Rivista di filologia romanza‘ aus. In Preußen konkretisierte der Breslauer Romanist Gustav Gröber (1844-1911) die Idee in Form einer Stiftung, die er im September 1876 in einem Brief seinem Berliner Kollegen Adolf Tobler (1835-1910) mitteilte, der diesen Gedanken im Herbst 1876 aufgriff und den Aufruf zur Gründung einer Diezstiftung verfaßte. Aus rein praktischen Gründen beabsichtigte Tobler, die Stiftung organisatorisch in Berlin zu belassen; dennoch vergewisserte er sich ausländischer Unterstützung: Graziadio Isaia Ascoli (1829-1907), Gaston Paris (1839-1903) und Adolfo Mussafia (1834-1905).Als Tobler im Februar 1877 versuchte, Hugo Schuchardt für das Berliner Projekt zu gewinnen, traf er auf einen Wissenschaftler, der im Herbst 1876 von Halle/Saale nach Graz gewechselt war. In der Phase der Gründung des Deutschen Reichs empfand Schuchardt durchaus als deutscher Patriot, auch seine zweisemestrige Lehrtätigkeit 1870 in Leipzig bekam ihm wohl; allein die Zeit in Halle ab 1872 setzte ihn in Gegensatz zum spezifisch Preußischen, füllte ihn mit Besorgnis um das Schicksal Deutschlands. Aus diesem Unbehagen und in dem Gefühl für den internationalen Charakter der romanischen Philologie erwuchs ihm eine Oppositionshaltung gegenüber der Restriktion einer nur deutschen Stiftung. Sicher rührten die vermeintlichen Schwierigkeiten, die Schuchardt der Sache bereitete, daher, daß er nicht versuchte, in interner Diskussion seiner Ansicht Geltung zu verschaffen, sondern daß er gleich die Öffentlichkeit suchte“.

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[„Aufruf“, Beilage zu diesem Brief:]
Berlin, den 1 Februar 1877.

Im Kreise der Schüler und übrigen Verehrer des am 29. Mai dieses Jahres verstorbenen Prof. Friedrich Diez ist der Gedanke laut geworden, an seinen ruhmreichen Namen eine Stiftung zu knüpfen, die den Zweck habe, die Arbeit auf dem Gebiete der von ihm begründeten Wissenschaft von den romanischen Sprachen zu fördern, eine Stiftung, welche durch Ermuthigung zum Fortschritt auf den von dem Meister gebahnten Wegen dazu beitrage, dass das von ihm Geleistete künftigen Geschlechtern im rechten Sinne erhalten bleibe, und welche zugleich die Erinnerung

an sein unvergängiches Verdienst immer wieder erneuere.

Die Unterzeichneten, von welchen gegenwärtiger Aufruf zur Gründung einer

Diez-Stiftung

ausgeht, wenden sich mit demselben nicht allein an alle die, welche, sei es persönlich, sei es mittelbar, Schüler des verewigten Meisters gewesen sind, gleichviel welches ihre Heimat sei; denn nicht sie allein, obgleich sie zumeist, haben Ursache seines Wirkens allezeit froh zu bleiben. Sie richten ihre Bitte um Betheiligung mit Zuversicht auch an alle die, welchen überhaupt der erspriessliche Fortgang und die Anerkennung wissenschaftlicher Arbeit am Herzen liegt, gehören sie nun zu den Romanen, deren Sprachen in ihrem wahren Verhältniss zu einander und in ihrem Werden zu erkennen Diez zuerst gelehrt hat, seien es seine Stammesgenossen, in deren Mitte er lange Jahre segensreich gewirkt, deren Namen in der Wissenschaft er wie nur wenige neben ihm Ehre gebracht hat, und deren Schule für einen wichtigen Zweig des Unerrichts ihm die Möglichkeit einer Hebung dankt, wie sie erst die heranwachsenden Generationen in vollem Umfange verspüren werden.

Über die Weise, in welcher die erbetenen Beiträge zu dem Zwecke der Förderung wissenschaftlicher Arbeit auf dem Gebiete der romanistischen Studien dienstbar gemacht werden sollen, lässt sich Genaueres zur Zeit noch nicht feststellen. Zunächst ist in Aussicht genommen, die Zinsen des durch Sammlung zusammen zu bringenden Kapitals in Perioden von später zu bestimmender Dauer als Ehrensold für hervorragende schriftstellerische Leistungen auf dem angegebenen Gebiete zu verwenden, und zwar jedenfalls ohne Rücksicht auf die Nationalität der Verfasser, und, wofern es sich ausführbar erweist, jedesmal nach Anhörung auch auswärtiger Sachverständiger. In zweiter Linie würde die Ertheilung von Preisen für die besten Lösungen zu stellender Aufgaben in’s Auge gefasst werden; weiterhin etwa die Stiftung eines Stipendiums an der Universität, welcher Diez über fünfzig Jahre als Lehrer angehört hat. Es ist Aussicht vorhanden, dass nach vorläufigem Abschluss der Sammlung, für welchen der 30. Dezember 1877 angesetzt ist, mit einem der grossen wissenschaftlichen Institute Deutschlands Statuten sich werden vereinbaren lassen, und dass dasselbe die Verwaltung der Stiftung von da ab übernehmen wird. Bis dahin erklären die unterzeichneten Mitglieder des Comité’s zur Gründung einer Diez-Stiftung sich bereit, Beiträge in Empfang zu nehmen, über deren Eingang sie später öffentlich berichten werden. Die eingehenden Gelder werden vorläufig bei dem Hause Mendelssohn u. Co. in Berlin deponirt, welches sich zur einstweiligen Führung der Casse für das Comité freundlich bereit erklärt hat, und können von etwa auswärts gebildeten Comités gesammelte Beiträge an dasselbe direct eingesandt werden.

|A2| Das Comité, welches gern noch manche in grösserer Entferung von Berlin wohnende Verehrer des todten Meisters eingeladen haben würde, ihre Namen mit unter diesen Aufruf zu setzen, hat dies unterlassen, um nicht später zu thuende gemeinsame Schritte all zu sehr zu erschweren; es würde es aber als eine sehr willkommene Unterstützung seiner Thätigkeit mit aufrichtigem Danke aufnehmen, wenn anderwärts, namentlich auch im Auslande, Gönner des Unternehmens in ihrer Umgebung den Plan der Diez-Stiftung zur Kenntnis bringen, zur Betheiligung anregen, Beiträge sammeln und dieselben dem Comité übermitteln wollten. In solcher Weise den Bemühungen desselben sich zugesellen zu wollen haben die Herren Professoren G. J. Ascoli in Mailand, Geh. Hofrath K. Bartsch in Heidelberg, N. Delius in Bonn, A. Mussafia in Wien, G. Paris in Paris bereitwilligst zugesagt.

Das Comité zur Gründung einer Diez-Stiftung

Bonitz,                                 Ebert,                      Gröber,                         Herrig,

Geh. Regierungsrath,                     Professor Dr.,        Professor Dr.                Professor Dr.

Berlin, SW, Kleinbeerenstr. 3.                              Leipzig, Salomonstr.    Breslau, Alexanderstr. 32.                      Berlin NW, Albrechstr. 12a.

Mahn                                 Mätzner                      Mommsen,                  Müllenhoff,

Professor. Dr.,                                        Professor Dr.,          Professor Dr.,                   Professor Dr.,

         Steglitz                                           Berlin, N, Ziegelstr. 8.    Charlottenburg, Marchstr. 6.    Berlin, W, Lützower Ufer 18.

   von Sybel,                                     Suchier,                      Tobler,                       Zupitza,

Director der Staatsarchive,            Professor Dr.,          Professor Dr.,                 Professor Dr.,

Berlin, W., Hohenzollernstr. 13.                Halle a. S.             Berlin, SW, Grossbeerenstr. 65.  Berlin, SW, Kleinbeerenstr. 10.


1 Der Aufruf zur Gründung der Diez-Stiftung wird im Anhang zu diesem Brief im Wortlaut mitgeteilt.

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Der Brief ist bereits publiziert von Storost, Hugo Schuchardt, 1992, Nr. 2, 7-8. Der Kommentator dieser Briefe (FRH) dankt Herrn Storost für die freundliche Genehmigung, seine Texte erneut zu reproduzieren sowie für weiterführende Auskünfte. Vgl. auch Storosts Beiträge „Die Diez-Stiftung. 1. Zur Gründungsgeschichte“, Beiträge zur Romanischen Philologie, 28, 1989, 301-316, bzw. „Die Diez-Stiftung. 2. Zur Wirkungsgeschichte“, ebd. 29, 1990, 117-133. Zum besseren Verständnis der folgenden Briefe zitieren wir Storost (Hugo Schuchardt, 1992, 5-6): „ Friedrich Diez war am 29. Mai 1876 in Bonn verstorben. Die allererste Idee zur Errichtung eines wie auch immer gearteten Denkmals für den Verstorbenen ging von der italienischen ,Rivista di filologia romanza‘ aus. In Preußen konkretisierte der Breslauer Romanist Gustav Gröber (1844-1911) die Idee in Form einer Stiftung, die er im September 1876 in einem Brief seinem Berliner Kollegen Adolf Tobler (1835-1910) mitteilte, der diesen Gedanken im Herbst 1876 aufgriff und den Aufruf zur Gründung einer Diezstiftung verfaßte. Aus rein praktischen Gründen beabsichtigte Tobler, die Stiftung organisatorisch in Berlin zu belassen; dennoch vergewisserte er sich ausländischer Unterstützung: Graziadio Isaia Ascoli (1829-1907), Gaston Paris (1839-1903) und Adolfo Mussafia (1834-1905).

Als Tobler im Februar 1877 versuchte, Hugo Schuchardt für das Berliner Projekt zu gewinnen, traf er auf einen Wissenschaftler, der im Herbst 1876 von Halle/Saale nach Graz gewechselt war. In der Phase der Gründung des Deutschen Reichs empfand Schuchardt durchaus als deutscher Patriot, auch seine zweisemestrige Lehrtätigkeit 1870 in Leipzig bekam ihm wohl; allein die Zeit in Halle ab 1872 setzte ihn in Gegensatz zum spezifisch Preußischen, füllte ihn mit Besorgnis um das Schicksal Deutschlands. Aus diesem Unbehagen und in dem Gefühl für den internationalen Charakter der romanischen Philologie erwuchs ihm eine Oppositionshaltung gegenüber der Restriktion einer nur deutschen Stiftung. Sicher rührten die vermeintlichen Schwierigkeiten, die Schuchardt der Sache bereitete, daher, daß er nicht versuchte, in interner Diskussion seiner Ansicht Geltung zu verschaffen, sondern daß er gleich die Öffentlichkeit suchte“.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11709)