Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (113-069)
von Hugo Schuchardt
30. 12. 1910
Deutsch
Schlagwörter: Azkue y Aberasturi, Resurrección María de Eys, Willem Jan van Italien England
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (113-069). Graz, 30. 12. 1910. Hrsg. von Katrin Purgay (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4011, abgerufen am 24. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4011.
Graz, 30. 12. ’10
Sehr geehrter Herr und Freund,
Gestern habe ich auf einer Karte die etymologischen Fragen die Sie mir stellten, so gut beantwortet als es mir im Augenblick möglich war. Heute kommt mir nun etwas Neues und sehr Anregendes von Ihrer Seite zu. Je ne prends pas la mouche, mais je chercherai à saisir le muss dans ses origines. Aber das bedarf der Zeit; vor allem möchte ich eine genaue Beschreibung des baskischen muss haben – die können Sie mir wohl verschaffen? Über das franz. Mouche finde ich vielleicht hier etwas. Ich bitte Sie vorderhand mich aus dem Spiele zu lassen, bemerke aber für|2|Sie privatim Folgendes.
Es ist höchst unwahrscheinlich daß muss und mouche zufällig zusammengetroffen sind. Die Orthographie läßt die Wörter verschieden erscheinen; aber wie hätte denn mouche im Bask. anders wiedergegeben werden können, als mit mus(s)? Für mich besteht kein Zweifel an der Identität der beiden Wörter (die der Gezurrikez als „vague analogie“ bezeichnet).
Hiermit wäre eine gründliche Verschiedenheit beider Spiele wohl vereinbar. Dafür gibt es genug Beispiele. Unser deutsches Skat und der Écarté sind gewiß einander sehr unähnlich und doch liegt beiden Namen scarfare, écarter zugrunde. Und um beim Baskischen zu bleiben, ist |3| nicht auch das mus welches, nach Azkue „bredouille“ (deutlich Matsch vom ital. marcio) bedeutet dasselbe wie das andere mus ? – In Spanien ist auch außerhalb der bask. Provinzen el juego de mus bekannt; ich will versuchen Auskunft darüber zu erhalten.
Wenn mus nicht gleich mouche ist, was ist es denn? Niemand wird es für altbaskisch halten; die Kartenspiele sind ja zudem etwas Neues. Also aus dem Ausland ist es jedenfalls gekommen. Will man etwa an das span. mus! mus!, womit die Katzen (auch die Hunde) gerufen werden, denken?
Nicht die bloße Ähnlichkeit der Namen hat mich (ohne Beihilfe von anderer Seite) auf |4| den Gedanken gebracht daß es sich um dasselbe Spiel handle, sondern irgend welches sachliche Détail. Ich glaube es waren die kheinuak, etwas was gewiß charakteristisch genug ist um die Verwandtschaft zweier Spiele vermuten zu lassen. Aber ich bin meiner Sache keineswegs sicher – es ist ja fast ein Vierteljahrhundert her daß ich muss spielte.
Die Entstehung fremder Wörter ist bei allen möglichen Spielen eher die Regel wie die Ausnahme. In meiner Jugend glaubte man – im Herzen von Deutschland – nicht Billard spielen zu können ohne dabei französisch zu zählen (vingt à treize usw.); jetzt gelten beim Lawn Tennis fast noch all|5|gemein die englischen Ausdrücke, und nicht auch die spanischen beim baskischen Ballspiel? Da dieses als etwas spezifisch Baskisches angesehen wird, übersah van Eys daß kinze, point, au jeu de paume spanisch ist. Übrigens ist dieses 15 als Punkt beim Ballspiel (auch in Italien, England usw.) sehr interessant; es muß auf die Römer zurückgehen. Einer unserer hervorragendsten Ethnographen befragte mich gestern brieflich wegen des baskischen Ballspiels. Ich habe doch recht gehabt ihm zu sagen daß die schaufelförmige Verlängerung des schlagenden Armes |6| eine Erfindung neurer Zeit ist? Ich habe darüber Notizen gemacht, habe aber augenblicklich keine Muße an sie zu suchen. Auch diese Zeilen schreibe ich in großer Eile; ich hätte mich wegen des mir erteilten Epitheton ornans so schämen sollen daß ich überhaupt nicht geschrieben hätte.
Mit herzlichem Gruß
Ihr ergebener
H. Schuchardt
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Fondo Lacombe (Euskaltzaindia). (Sig. 069)