Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (097-064)
von Hugo Schuchardt
24. 02. 1910
Deutsch
Schlagwörter: Baskisch Darricarrère, Jean Baptiste Harriet, Maurice Urquijo Ybarra, Julio de Meillet, Antoine Meyer-Lübke, Wilhelm Duvoisin, Jean-Pierre Azkue y Aberasturi, Resurrección María de Dodgson, Edward Spencer Platzmann, Julius Leipzig Paul, Hermann (1880)
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (097-064). Graz, 24. 02. 1910. Hrsg. von Katrin Purgay (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3994, abgerufen am 01. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3994.
Graz, 24. II. 10
Sehr geehrter Herr und Freund.
Endlich – wenn auch zu ungünstiger Zeit (da ich von einer Art Influenza ziemlich angegriffen bin) – komme ich dazu Ihnen ausführlicher zu schreiben.
Tausend Dank für alle Ihre Bemühungen in dieser Dresch-angelegenheit! Besonders wertvoll waren mir gerade die letzten Mitteilungen, sowohl die von Darricarrère, als die Abschrift des Artikels von Harriet (welches ist der Anfangsbuchstabe seines Vornamens? ich muss ihn doch von seinem Homonymen von 1741, M. Harriet, unterscheiden).
Ich habe das Alles noch in die erste Korrektur (épreuve en placard) hineingepresst, nicht ohne eine wirkliche Revolution angerichtet zu haben, aber doch ohne selbst in formaler Hinsicht befriedigt zu sein. Ich werde Ihnen die 2. Korrektur dieses Nachtrags zugehen lassen, vielleicht finden Sie (wenigstens in bezug auf die schon angedeutete Stelle Darr.s) irgend etwas auszusetzen.
Der ganze, recht umfangreiche Aufsatz wird erst nach reichlich zwei Monaten |2| das Licht erblicken, nämlich im 3. Heft der Zeitschrift für romanische Philologie (Anfang Mai). Es wäre mir sehr erwünscht wenn bis dahin – ich werde Ihnen und J. de Urquijo je einen Sonderabdruck des Ganzen schicken – nicht weiter von dem Inhalt im Allgemeinen die Rede wäre (etwa Meillet gegenüber); was den auf das Baskische bezüglichen Teil anlangt, so ist der natürlich freigegeben. Ich würde gar nicht daran gedacht haben einen derartigen Wunsch zu äussern, wenn nicht ein Brief de Urquijos mir dazu eine bestimmte Veranlassung gegeben hätte.
In der neuen Zeitschrift „Wörter und Sachen“ (I, Heft 2, 1909) findet sich ein Aufsatz von Meyer-Lübke über die romanischen Dreschgeräte und ihre Benennungen. Derselbe hat mich ausserordentlich interessiert; ich habe aber darin so vieles zu ergänzen und richtig zu stellen angetroffen dass mir Stoff zu einer eigen[en] Abhandlung erwuchs; erst spät habe ich daran gedacht, auch das Baskische zu berücksichtigen, und mich deswegen an Sie und an de Urquijo gewendet.
|3| Obwohl ich, soweit ich mich erinnere, wegen der allgemein-spanischen (nicht span. – baskischen) Verhältnisse de Urquijo nicht befragt habe, so hat er doch, mit Recht, angenommen dass auch diese mich interessieren würden, und hat sich bei Menéndez Pidal danach erkundigt. Nun ist aber gerade dieser es gewesen welcher Meyer-Lübke über die spanischen Dreschgeräte unterrichtet hat. Sie können sich denken wie unangenehm es mir wäre wenn Meyer-Lübke auf einem derartigen Umwege erführe dass ich eine solche glanure beabsichtige. Ich bin im Grund ein Feind von aller Geheimtuerei: aber es ist unter uns Gelehrten doch Sitte, in derartigen Fällen nicht von „ungelegten Eiern“ (œufs non pondus) zu reden. Man könnte ja dem andern ankündigen dass man in aller Freundschaft seinen Fussspuren folgen wolle; daraus würde sich aber eine ausführliche, lästige Privatkorrespondenz entwickeln mit der niemandem gedient wäre. – Vielleicht |4| haben Sie Gelegenheit das Herrn de U. auseinanderzusetzen; ich werde ihm nur ganz kurz schreiben dass Meyer-Lübkes Aufsatz, den er meiner Aufmerksamkeit empfiehlt, gerade mir den Anlass geboten hat mich nach den baskischen Dreschgeräten zu erkundigen.
Wie werden Sie nun Darricarrère es beibringen dass Sie für mich bei ihm gesammelt haben? Ich wiederholte Ihnen, es tut mir leid um den Mann; hätte er sich nur in den Grenzen entwickeln können wie Duvoisin! Sein Wörterbuch mutete mich – wie ja aus der Einleitung zu meinem Bask. und Rom. zu ersehen ist – sehr an; Azkue war für ihn persönlich ein Unglück. Aber auch nach Azkue hätte er uns Manches zu sagen; würde es ihn nicht befriedigen wenn er eine alphabetisch oder noch besser sachlich geordnete Nachlese gäbe? Wenn er sagt, ich hätte mich geweigert mit ihm zu diskutieren, so hat er in der Sache selbst nicht Unrecht. Aber ganz abgesehen davon dass meine Weigerung gewiss nicht in eine unhöfliche Form gekleidet war, er musste doch einsehen dass es mir unmöglich war mit ihm über die Prinzipien der Sprachgeschichte zu diskutieren; er musste selbst fühlen dass er sich auch durch eine |5| Bossuetsche Beredtsamkeit nicht von der Richtigkeit der allgemein herrschenden Anschauungen überzeugen lassen würde. Mit allen meinen Stilübungen hätte ich ein ganz fruchtloses Opfer gebracht. Ich habe Erfahrungen in solchen Dingen; ich habe nie eine wissenschaftliche Bekehrung fertig gebracht. Nehmen Sie Dodgson; was für Mühe habe ich mir mit ihm gegeben! Er hatte die günstigsten Vorbedingungen, er hat die besten akademischen Vorlesungen gehört [,] er hat viele Kenntnisse gesammelt – aber in der Erkenntnis hat er keinen Schritt vorwärts getan. Schon als Privatdozent in Leipzig, zu Anfang der ’70er Jahre, lernte ich die Wirkungslosigkeit aller unserer sprachwissenschaftlichen Argumente an dem liebenswürdigen Julius Platzmann kennen; er machte sich aber später einen Namen durch den Neudruck alter Grammatiken von amerikanischen Sprachen. Nun denken Sie sich, ich fragte Darricarrère, mit welchem Rechte er in indaras̃ez mendersi dort das in, hier das men absäge, ob denn das Baskische eine präfixliebende Sprache sei. Natürlich würde er mir da irgendwelche Analoga vorführen, und ich müsste nun weiter mit ihm die Berechtigung erörtern diese Fälle als wirklich analoge zu betrachten. Usw. usw. Nein, wenn ich mit ihm nicht diskutieren wollte, so war das nicht |6| egoistisch, sondern altruistisch: ich hätte, früher oder später, es gar nicht vermeiden können, ihn zu kränken.
So, jetzt haben Sie eine gar zu starke Dosis Deutsch! Entschuldigen Sie mich und empfangen Sie nochmals den Ausdruck meines herzlichen Dankes.
Ihr erg
H. Schuchardt
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Fondo Lacombe (Euskaltzaindia). (Sig. 064)