Hugo Schuchardt an Elise Richter (55-266_27-3)

von Hugo Schuchardt

an Elise Richter

Graz

08. 06. 1922

language Deutsch

Schlagwörter: Dankschreiben Publikationsversand Abbildungen in Publikationen Phonologie Phonetik Biographisches Gesundheit sprachliche Variation Wortbildung Félibreslanguage Baskischlanguage Deutsche Dialekte Richter, Elise (1922)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Elise Richter (55-266_27-3). Graz, 08. 06. 1922. Hrsg. von Bernhard Hurch (2009). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.396, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.396.


|1|

Graz, 8. Juni 1922

Verzeihen Sie, verehrte Kollegin, daß ich erst einige Tage nach dem Empfang Ihrer schönen und schmeichelhaften Gabe Ihnen dafür danke; es war Dringliches in den letzten Tagen zu erledigen, und ich wurde erst gestern Nachmittag frei.

Ihr als Büchlein verkleideter Foliant 1 hat mich in größtes Staunen versetzt; ich fühle mich geradezu geknickt. Diese Fülle von Stoff! welche Arbeit!

|2| Und die vielen Bildchen und der schöne Druck! Für meine Augen freilich etwas zu eng; doch habe ich ja die Lupe neben mir. Der Altmeister muß nun zur Meisterin in die Schule gehen, das heißt müßte, denn der ausgehende Forscher hat dazu schwerlich noch Zeit. Ich habe aber gleich die Nase in den Abschnitt "Hervorhebung" gesteckt, und es kommt mir sehr laienhaft vor wie ich mich in meiner baskologischen Arbeit, die ich Ihnen vor einiger Zeit schickte [ich erwähnte Sie an S. 11. und 15.] 2 über Stark- und Hochbetonung ausgesprochen habe (entschuldigen Sie |3| den Ausdruck, ich kann mich nicht mehr davon befreien).

Wie gern würde ich mich mit Ihnen über Phonetik unterhalten! Ich komme kaum zu einer solchen Unterhaltung, kaum mit Freund Pogatscher,3 der mich öfter besucht. Da ich etwas schwerhörig bin, so sind die Beobachtungen, die ich mache, meist negativer Art. So z.B. daß* sie ein eigentlich zischendes s nicht kennen; so muß ich dann wenn schwierigere d.h. seltenere Eigennamen in der Unterhaltung vorkommen immer fragen: ist ein s darin? Mit dem r steht es ähnlich. Neulich redete ein Bekannter mir von lapulá. |4| Erst nach mehrmaligem Befragen bekam ich heraus daß er l'art pour l'art meinte. Die Östr. hören aber auch schlecht. Ich habe öfter darüber gelacht wenn sie das berl. Jackal, Mausal nachahmten, wurde aber sehr ernst, wenn sie das auch mir in die Schuhe schoben. Ich rolle nämlich das r; und so sprach ich nur dem –al zu entgehen. Da habe ich dann – das ist schon sehr lange her – angefangen, das ‑erl als ‑edl zu sprechen; das hat man sich in der Praxis gefallen lassen, als ich dann aber erklärte, daß ich ein d spräche, wollte man davon nichts wissen, ich glaube, -l sollte eine besondere Variante sein.

Den guten Heilwunsch den ich bei Empfang Ihrer Spende in Gedanken aussprach, brauche ich hoffentlich nicht brieflich zu wiederholen; er wird sich inzwischen schon verwirklicht haben.

Mit sonstigen Wünschen alter Art

Ihr erkenntlicher und ergebener

HSchuchardt

* nämlich die Oesterreicher - ja so ich gehöre ja auch dazu, mit der größeren Hälfte meines Lebens.


1 Richters Lautbildungskunde.

2 Eckige Klammern im Original.

3 Alois Pogatscher (1852-1935) österreichischer Anglist, Professor in Prag, dann die letzten Jahre in Graz; befaßte sich vorwiegend mit Lehnwörtern, deren Austausch zwischen romanischen und germanischen Sprachen und älterer Lautchronologie. Ausführlicher Schriftverkehr mit Schuchardt, vgl. Nrn. 8889-8959. Ein Brief von Pogatscher an Richter unter NB265/83.

Von diesem Korrespondenzstück ist derzeit keine digitale Reproduktion verfügbar.