Ernest Bovet an Hugo Schuchardt (09-01297)

von Ernest Bovet

an Hugo Schuchardt

Zürich

28. 07. 1919

language Deutsch

Schlagwörter: Wissen und Leben: neue Schweizer Rundschau Manuskriptversand Sprachen in Sierra Leone Abonnements (Zeitschriften) Politik- und Zeitgeschichte Publikationsversand Erster Weltkrieg Schuchardt, Hugo (1919)

Zitiervorschlag: Ernest Bovet an Hugo Schuchardt (09-01297). Zürich, 28. 07. 1919. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3818, abgerufen am 22. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3818.


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WISSEN UND
LEBEN
REDAKTION
SEKRETARIAT
TELEPHON: SELNAU 4796
ZÜRICH, den 28ten Juli 1919
BLEICHEREWEG 13
Herrn Prof. Dr Hugo Schuchardt
Johann Fuxgasse 30
Graz.

Hochverehrter, lieber Herr Kollega,

Ihr Brief und Ihre Karte sind richtig angekommen; das Manuskript dagegen noch nicht. Ich werde es mit dem grössten Interesse lesen und hoffe sehr, es veröffentlichen zu können.1

Erhalten Sie eigentlich meine Zeitschrift wieder? Ich sende Ihnen zwei Nummern mit zwei Artikeln von mir: „La paix provisoire“ und „Lettre à un ami français“.2 Weil ich gegen den Gewaltfrieden protestiere, greifen mich die Imperialisten des Ententelagers heftig an; es kommen aber auch viele Zustimmungen, besonders aus Frankreich, wo das Ideal von 1789 doch nicht ein leeres Wort ist.

Durch den ganzen Krieg hindurch blieb ich immer bei der Ueberzeugung, Deutschland werde besiegt; es musste besiegt werden. Dieser Glaube verdoppelte meine Arbeitskraft; nun hat mich der Friede plötzlich zum alten Manne gemacht. Und doch wollen wir den Glauben und das Ideal nicht begraben; die bessere Zeit werden wir nicht mehr erleben; sie wird aber kommen. Ich glaube an die unüberwindliche Macht der Gedanken; Freiheit und Recht sind auf dem Wege der menschlichen Entwicklung.

Mit den besten Grüssen

Ihr dankbarer und treu Ergebener

EBovet.


1Bekenntnisse und Erkenntnisse“, Wissen und Leben 13, 1918/19, 179-198. Wichtig ist die von Bovet unterzeichnete Anm. 1: „Das Manuskript von Hugo Schuchardt, abgeschlossen am 31. Mai, kam infolge verschiedener Umstände erst am 23. August bei uns an. Wegen seiner Länge musste es wiederholt zurückgelegt werden, denn ich mochte es nicht in zwei Teile zerreißen. Briefe von Hugo Schuchardt, die ich seither erhielt, erklären, dass er heute, durch verschiedene Tatsachen aufgeklärt, manche Auffassung ändern würde; er wolle jedoch das Ganze nicht wieder umarbeiten; es sei daher das Datum der Niederschrift wohl zu beachten. Hugo Schuchardt, geboren 1842, ist nicht nur der geniale Altmeister der romanischen Philologie; seine Bedeutung geht weit über die Grenzen dieses Faches hinaus. Persönlich habe ich ihn nie gesehen, bin ihm aber schon von den Studienjahren her zu großem Dank verpflichtet; ich verehre und liebe in ihm den Gelehrten, und noch mehr den Menschen. Ich weiß, wie sehr er in den Kriegsjahren nach der Feststellung der Wahrheit strebte, ohne sie erreichen zu können. Viele Stellen seiner ,Bekenntnisse und Erkenntnisse‘ leiden unter dieser unvollständigen Information, wie auch darunter, dass er das junge Frankreich nicht aus direkter Anschauung kennt. Hier will ich aber mit dem verehrten Meister nicht streiten und komme erst später auf einzelne Punkte zurück. Der Artikel ist ein aufrichtiges Dokument. Mit Männern wie Schuchardt hat die Meinungsverschiedenheit keinen Einfluss auf die Hochschätzung und dankbare Liebe BOVET“.

2 Wissen und Leben 13, 1918/19, 465-468 bzw. 574f.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 01297)