Ernest Bovet an Hugo Schuchardt (04-01292)

von Ernest Bovet

an Hugo Schuchardt

Zürich

07. 06. 1915

language Deutsch

Schlagwörter: Wissen und Leben: neue Schweizer Rundschau Korrekturlesen Druckfahnen Neue Zürcher Zeitung Publikationsversand Autorenexemplar Politik- und Zeitgeschichte Erster Weltkrieglanguage Südostslawische Sprachen Jud, Jakob Bédier, Joseph D´Ovidio, Francesco Farinelli, Arturo Gregorio Brunaccini, Giacomo de Schuchardt, Hugo (1915) Schuchardt, Hugo (1915) Schuchardt, Hugo (1916)

Zitiervorschlag: Ernest Bovet an Hugo Schuchardt (04-01292). Zürich, 07. 06. 1915. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3813, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3813.


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WISSEN UND LEBEN
REDAKTION
SEKRETARIAT
Bleicherweg 13
TELEPHON 7750
ZÜRICH, 7.VI.1915
Herrn Prof. Dr H. Schuchardt
Graz.

Hochverehrter Herr Kollege,

Heute erhalte ich Ihre Postkarten vom 19. Mai und 2. Juni; die Korrekturbogen werden hoffentlich auch bald eintreffen.1 Es freut mich, dass Sie die Bemerkung über Wernle-Bédier2 einfach so stehen lassen. Schon vor vielen Wochen hat Jakob Jud die ganze Sache in jeder Einzelheit scharf geprüft und konnte nirgends auch nur die Spur eines gewollten „Irrtums“ feststellen3. Das Einzige, was ich an Bédier kritisieren muss, ist, dass er die vielen schönen Stellen aus anderen Tagebüchern nicht verwertete (ich kenne nämlich solche, durch Denjenigen der die Tagebücher zuerst durchlies4); es gehörte offenbar nicht zu seinem Plan; es ist aber immer |2| zu bedauern, wenn Gelehrte den Hass noch schüren.

Um Ihren Artikel so bald wie möglich zu veröffentlichen, werde ich wahrscheinlich die betreffende Nummer um einen halben Bogen dicker machen, und sende Ihnen dann 20 Exemplare davon; wenn Sie noch mehr wünschen, brauchen Sie bloss zu schreiben. An Ihre Freunde in Italien werden wir direkt von hier aus Exemplare versenden; geben Sie uns bloss die Namen und Adressen an (ich notiere mir bereits D’Ovidio, Farinelli und De Gregorio)5.

In der Nummer die am 15. dis6 erscheinen wird, steht ein französischer Artikel von mir, gegen die Hetzer in der welschen Schweiz7; es gibt da Leute, über die man sich schämen muss. Wenn man an die zerschlagenen Freundschaften denkt, beneidet man beinahe die Toten.

Mit den herzlichsten Grüssen

Ihr Ergebener

EBovet.


1 Es geht um Schuchardts Beitrag „Offener Brief“, Wissen und Leben 8, 1914/15, 601-613.

2 Paul Wernle (Basel), NZZ N ° 461, 18.4.1915. Wernle (1872-1939), Kirchenhistoriker der Universität Basel, hatte Bédier, dem Verfasser von Les Crimes allemands, Ignoranz, Voreingenommenheit und bewusste Fälschung vorgeworfen. Eine entsprechende Bemerkung Schuchardts steht allerdings nicht in „Offener Brief“. Vgl. jedoch Schuchardt, „Französische Kriegsliteratur (Bédier)“, Tagespost (Graz), 28.2.1915 (über Bédiers Buch Les Crimes allemands d’après des témoignages allemands) bzw. „Nochmals der Fall Bédier. Brief an den Herausgeber“, Neuphilologische Blätter (Leipzig) 23. Jg., H. 5,1916, 158-159. – Zu Bédiers Schrift allgemein Alain Corbellari, Joseph Bédier, écrivain et philologue, Genf: Dorz, 1997 (Publications Romanes et Françaises, 220), bes. 426-445.

3 Ein entsprechender Artikel konnte nicht nachgewiesen werden; es handelt sich vermutlich um eine mündliche Mitteilung Juds.

4 Nicht identifiziert; im verbesserten Text steht „durchlies“, wahrscheinlich ein lapsus calami für „durchlas“

5 Francesco D’Ovidio (1849-1925), Arturo Farinelli (1867-1948), Giacomo De Gregorio (1856-1936) waren Briefpartner Schuchardts. Italien war am 23.5.1915 auf Seiten der Alliierten in den Krieg eingetreten.

6 Altertümlich (auch: Dis, Diß, diß) bei Datumsangaben für „dieses“ (zu ergänzen Monats, Jahres etc.); vgl. auch Brief 08-01296.

7 Bovet, „ En Suisse romande “, Wissen und Leben 8, 1914/15, 584-588. Hieraus eine kleine Probe: „Je puis affirmer qu’en Allemagne nombre de bons esprits ont déjà reconnu l’erreur fatale; si la plupart se taisent, ce n’est pas seulement par un effet de la censure, mais c’est qu’un souci patriotique, très compréhensible pour quiconque aime sa patrie, leur impose d’attendre l’heure propice de la vérité. Et qui donc a dirigé ce noble peuple sur une voie si contraire à ses réelles aspirations? Je l’ai dit il y a quelques mois, et je le répète: c’est le positivisme des intellectuels mis au service du militarisme. […] L’Allemagne officielle s’écroule dans le rationalisme. Une fois de plus, Rousseau l’emportera sur Voltaire. Que condamnons-nous dans la France d’il y a cent cinquante ans? La France elle-même ou son régime? La justice exige que nous appliquions aujourdh’hui à l’Allemagne le même poids et la même mesure“ (586-587).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 01292)