Hugo Schuchardt an Edward Spencer Dodgson (229-67)
von Hugo Schuchardt
06. 09. 1897
Deutsch
Schlagwörter: Baskisch
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Edward Spencer Dodgson (229-67). Gotha, 06. 09. 1897. Hrsg. von Bernhard Hurch (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3756, abgerufen am 25. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3756.
Gotha, Siebleberstr. 33, 6 Sept. 97.
Sehr geehrter Fräulein1
Herr E. Dodgson ist ein ausgezeichneter Kenner des Baskischen, hat sich durch seine Veröffentlichungen Verdienste um das Studium desselben erworben und würde im Stande sein sich weit grössere zu erwerben, wenn er dem Rathe seiner aufrichtigen Freunde mehr Gehör schenken wollte. Er sollte sein ewiges Herumwandern aufgeben und sich an irgend einem Orte welcher eine grosse Bibliothek besitzt, niederlassen; er sollte seine Kräfte nicht an allerhand Artikel varii argumenti verschwenden und versplittern, die in den verschiedensten Zeitungen erscheinen, sondern sie auf irgend eine grössere |2| Arbeit concentriren; er sollte gewisse phantastische Neigungen unterdrücken und sich der Methode und dem Geschmack anderer Gelehrten mehr anschliessen. Vor Allem sollte er die Vorstellung aufgeben, dass Baskisch für Jedermann eine wichtige und interessante Sprache sei. Es sind nur wenige Leute die ausserhalb des Baskenlandes sich mit dieser Sprache beschäftigen; und es können, der Natur der Sache, nie sehr viele sein. Die Veröffentlichungen welche sich auf das Baskische beziehen, sind von ihren Verfassern oder Herausgebern immer aus eigener Tasche oder mit Unterstützung eines Mäcenaten oder einer Akademie bewerkstelligt worden; so kann auch ich an die Herausgabe |3| eines baskischen N. T. aus dem 16. Jahrh. erst jetzt denken, nachdem mir die Wiener Akademie, der ich angehöre, das Geld dazu bewilligt hat. Auf einen grösseren Absatz im Publikum bei solchen Büchern ist durchaus nicht zu rechnen. Herrn Dodgson’s Arbeiten könnten zum Theil kostenfrei oder sogar mit einem kleinen Benefiz in Zeitschriften zum Abdruck gelangen wenn er – wie gesagt – unsern Bedürfnissen und Wünschen mehr Rechnung trüge. Ich kann Ihnen, ohne sehr weitschweifig zu werden, das nicht auseinandersetzen; nur beispielshalber führe ich an dass der Titel The Basque Verb found anddefined meines Erachtens durchaus unpassend (für das was in der Arbeit geboten wird) und irreführend ist. Freilich habe ich |4| keine Hoffnung, Herrn Dodgson selbst davon zu überzeugen. Er hat sich schon bei verschiedenen Gelegenheiten wo ich ihm in seinem eigenen Interesse und in dem der Wissenschaft Vorstellungen machte, sehr empfindlich gezeigt. Es ist schwer mit ihm in ganz unbefangener Weise zu verkehren. Er weiss sehr wohl dass meine Kränklichkeit und sein häufiger Ortswechsel mich verhindern ihm so oft zu schreiben, wie er mir, nichts desto weniger ist er beständig geneigt dies auf Feindseligkeit gegen ihn zu schieben.
Vielleicht gelingt es seinen Landsleuten und Freunden ihn auf Bahnen zu bringen, auf denen seine Talente und Kenntnisse sich besser geltend zu machen vermögen als bisher.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr ergebenster
H. Schuchardt
1 Der Brief ist an Miss E. Mc Veïgh Ferrar gerichtet. Schuchardt schrieb ursprünglich „Sehr geehrter Herr“, strich dann aber „Herr“ aus und ersetzte es durch „Fräulein“, ohne das Adjektiv anzupassen.
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Azkue Biblioteka (Euskaltzaindia). (Sig. 67)