Hugo Schuchardt an Julio de Urquijo Ybarra (430-s.n.)

von Hugo Schuchardt

an Julio de Urquijo Ybarra

Graz

17. 08. 1922

language Deutsch

Schlagwörter: Tercer Congreso de Estudios Vascos (Guernica 1922) Revue internationale des études basqueslanguage Lateinlanguage Spanischlanguage Deutsch Gavel, Henri Azkue y Aberasturi, Resurrección María de Marr, Nikolaj Jakovlevič Humboldt, Wilhelm von Farinelli, Arturo Sare Baskenland Gavel, Henri (1929) Schuchardt, Hugo (1923)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Julio de Urquijo Ybarra (430-s.n.). Graz, 17. 08. 1922. Hrsg. von Bernhard Hurch und Maria José Kerejeta (2007). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3665, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3665.


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Graz 17. VIII.’22

Lieber Freund.

Eben erhalte ich Ihren Brief vom 7. Aug. und sehe daß er eine lange Reisezeit hinter*) sich hat; erwidere ihn daher — der Grund wird Ihnen ersichtlich werden — sofort.

Indem ich Ihnen auch für die Übersendung des Gedruckten vielmals danke, so bin ich doch besonders für die verständnisvolle Anzeige meiner Sara-abhandlung verpflichtet. Was die andere Aufgabe, deren Lösung ich versprochen habe, betrifft, den grammatischen Kom- |2|mentar zur Parabel vom verlorenen Sohn, so bin ich in Sorge es den Meisten nicht recht zu machen. In linguistischer Hinsicht fühle ich selbst mich als Revolutionär. Und die Versuche anderer machen mich noch bedenklicher. Welches ist denn das Publikum, für das Gavel seine Grammatik schreibt?1Ich kann nur an die internationale Gelehrtenwelt denken; aber wie würde man wohl im Baskenland selbst eine solche Arbeit zu veröffentlichen geneigt sein? Und bei mir ist es, aus äußerlichen Gründen, nicht möglich.

Auf das ¡Pola! von A. de Urrutia werde ich nicht erwidern. Der Einfall ist in der Tat scharfsinnig; aber es fehlt an jeder Möglichkeit den Vorgang der Entlehnung aus dem Latein wahrscheinlich zu machen. Was den allzu heiligen Ursprung der |3|Anrufe anlangt, wie ich ihn voraussetze, so wird dieses Bedenken durch den häufigsten Gebrauch in fast allen Sprachen widerlegt (potztausend = Gottes tausend, sapristi usw.).

Lebhaft hat mich das reichhaltige Programm des Kongresses von Gernika interessiert. Dazu kommt, daß mir am vergangenen Samstag der Besuch von Azkue eine freudige Überraschung bereitet hat, wirklich eine außerordentliche Freude, aber zugleich auch größte Verlegenheit und Beschämung. Ich bitte Sie, mich gelegentlich bei ihm zu entschuldigen; Sie haben ja selbst erfahren, wie leicht meine Kräfte in der Konversation versagen. Nun war an jenem Tage meine nervöse Erschöpfung besonders groß und ich |4|rechnete darauf, den Tag in horizontaler Richtung mit der Lektüre irgend eines alten Romans zu verbringen. Da wurde mir Azkue gemeldet, und das elektrisierte mich und ich ließ mich in eine spanische Unterhaltung von vielen Stunden (mit einer längeren Unterbrechung) ein. Aber ich konnte nicht alles sagen, was ich wollte, und nicht alles erfahren was ich wollte. Die Übung fehlte mir einerseits und andererseits bin ich auch in deutscher Konversation ziemlich schwerhörig. Ich bat Azkue wiederholt, etwas langsamer zu reden ... aber bei seinem Temperament! Und schließlich gefiel er mir doch so am besten, wie er gewöhnlich war: humorvoll, begeistert. Auch über Marr bin ich nur insoweit aufgeklärt worden als er in Bayonne weilte mit einer sehr distinguierten Gattin. Das alles ist ja nun gleichgültig, bis auf eines und eben deshalb schreibe ich Ihnen |5|in Eile. Azkue wünscht offenbar eine Begrüßung des Kongresses durch mich. Dazu bin ich nun mit Freuden bereit, wenn auch die sprachliche Frage mir einige Schwierigkeit bereitet. Aber ich bin kein Freund reiner Rhetorik, ich muß eine sachliche Grundlage haben. Ich dachte noch der Vermittlung von W. von Humboldt mich zu bedienen: ich forsche nach, bin glücklich festzustellen daß der 13. Band der gesammelten Werke schon vor einiger Zeit erschienen ist, der sich auf das baskische Gebiet bezieht, schreibe sogleich nach Berlin um noch rechtzeitig ein Exemplar davon zu erhalten, damit ich es mit einem Begleitschreiben |6| dem Kongreß widmen könne. Gut — nun aber kommt mir mit dem 3. Heft der RB der Aufsatz von Freund Farinelli über Humboldt2 in die Hände und daraus ersehe ich, daß der betreffende Band schon verbreitet ist, nur in meine Einsiedelei ist er bisher noch nicht gedrungen.

Bitte, raten Sie mir nun in dieser Angelegenheit, oder teilen Sie mir mindestens mit, ob das betreffende Buch wirklich schon im Besitz der Akademie ist. 3Auf einer Karte!

Ihr herzlich ergebener
HSchuchardt

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*) ich hatte in der Eile Ihre Schlußbemerkung übersehen.

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1 La Grammaire basque de H. Gavel empieza a publicarse en Gure Herria en 1922. Esta gramática tendrá dos partes, la segunda de las cuales la redactará en colaboración con G. Lacombe.

2 A. Farinelli „Guillermo de Humboldt y el País Vasco“, RIEV 13 (1922): 257-272.

3 Finalmente H. S. enviará al congreso un saludo en verso (1923b).

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Koldo Mitxelena Kulturunea - Liburutegia (Fondo Urquijo). (Sig. s.n.)