Karl Pietsch an Hugo Schuchardt (03-08830)
von Karl Pietsch
an Hugo Schuchardt
24. 04. 1923
Deutsch
Schlagwörter: Publikationsversand Universität Halle Neue Stettiner Zeitung Deutsch-Französischer Krieg Priebsch, Josef König, Wilhelm Stimming, Albert König, Karla Meyer-Lübke, Wilhelm Noé, Adolf Carl USA Österreich Schuchardt, Hugo (1915)
Zitiervorschlag: Karl Pietsch an Hugo Schuchardt (03-08830). Chicago, 24. 04. 1923. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3640, abgerufen am 02. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3640.
The University of Chicago
DEPARTMENT OF
ROMANCE LANGUAGES AND LITERATURES
Hochverehrter herr professor,
Ihre beiden lieben karten waren richtig adressiert. Sie irren sich, wenn Sie auf der zweiten meinen, Sie hätten die erste an Priebsch1 gerichtet. Dergleichen „dummheiten“ könnten Sie nicht machen, auch wenn Sie hundert jahre alt wären.
Es freut mich aufrichtig, Ihnen eine kleine freude gemacht zu haben.2 Ich habe Sie stets verehrt, seitdem ich das erste mal – damals noch ein schüler – Ihren namen nennen hörte. Wissen Sie, durch wen das geschah? Durch Ihren ehemaligen, Hallenser hörer, Wilhelm König.3 Das schicksal verschlug ihn nach meiner vaterstadt Stettin an die Neue Stettiner Zeitung, bei der mein vater als expedient angestellt war. Er heiratete nach dem tode seiner ersten frau die einzige tochter des chefredaktörs4 und besitzers der zeitung und hatte mit ihr zwei kinder. Einen sohn, der Stimmings schüler gewesen war und durch eigene hand geendet, und eine tochter, Carla König5, die sich als dichterin einen hübschen namen gemacht und jetzt die stütze ihrer mutter ist. König hat leider mit dem grossen pfunde, das ihm mitgegeben, nicht gewuchert.
Wie überall in den Vereinigten Staaten sind wir (besonders Deutsch-Amerikaner) auch hier mit liebesarbeit für Deutschland und Österreich beschäftigt. Kurz vor dem absenden meines briefes an Sie veranstaltete die frau eines kollegen in der deutschen abteilung, eine amerikanerin, ein konzert für die geistesarbeiter drüben, das einen ziemlichen ertrag hatte. Diejenigen, welche |2| zu dem erfolge besonders beigetragen, wurden gebeten, namen von gelehrten und lehrern anzugeben, denen hilfe gewährt werden sollte. Ich habe damals Ihren Namen und den Meyer-Lübkes, mit dem mich seit unsrer Berliner studentenzeit freundschaft verbindet,6 genannt. Ebenso habe ich mir erlaubt, von Ihnen zu meinem kollegen von Noé7, einem ehemaligen Grazer studenten, vielleicht dem eifrigsten sammler für gute zwecke, zu sprechen. Hoffentlich ist meine bitte in beiden fällen nicht unnütz gewesen. Jedenfalls bitte ich recht sehr, mich kurzer hand wissen zu lassen, wann ich Ihnen irgendwie dienen kann. Nicht Sie würden unser schuldner werden; wir sind und bleiben der Ihrige.
Dass Sie solange nichts von mir gehört, liegt daran, dass ich mehr als novem annos an meiner ausgabe der spanischen Gralfragmente gearbeitet. Der erste band, die texte, wird vielleicht noch in diesem jahre erscheinen. Den zweiten band, den kommentar, hoffe ich Ihnen 1925 überreichen zu können.8
Darf ich mir betreffs „eines gedruckten lebenszeichens“ eine bitte erlauben, so wäre mir das liebste „Aus dem Herzen eines Romanisten“.9 Noch lieber allerdings das bild eines fröhlichen greises.
Finden Sie zeit, auf dieses geschreibsel zu antworten, so senden Sie Ihren brief, bitte, an meinen schwager
Herrn K. Trampedach, Burggrafenstrasse 29, Potsdam.
Er wird die weiterbeförderung übernehmen.
Mit herzlichem gruss und den besten wünschen für Sie
Ihr getreuer
K.Pietsch
Chicago, d. 24.IV. ‘23.
1 Josef Priebsch (1866-1941), Schuchardt-Schüler und Professor an der Wiener Exportakademie (Hochschule für Welthandel), vgl. die Briefe HSA Nr. 09013-09021.
2 Vgl. Anm. 1 zu Lfd. Nr. 02-08829.
3 Wilhelm König (1851-?), stammte aus Mielitsch / Schlesien, studierte Neuere Sprachen zunächst in Berlin, nahm am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 teil und setzte danach sein Studium in Halle a. S. fort. Im Jahr 1875 promovierte er dort über das Thema Étude sur l'authenticité des poésies de Clotilde de Surville poète Francais du 15e siècle. Er veröffentlichte auch einiges zu Shakespeare. In welchem Jahr er nach Stettin kam, ließ sich genauso wenig feststellen wie sein Todesdatum. Vgl. auch HSA Nr. 05732-05733.
4 Gustav Wiemann, war Verleger und Chefredakteur der 1859 gegründeten Neuen Stettiner Zeitung.
5 Karla König (1889-1963), Journalistin, Schriftstellerin und Kulturfunktionärin; vgl. Eckhardt Wendt, Stettiner Lebensbilder, Köln-Weimar-Wien 2004 (Veröff. d. Hist. Komm. f. Pommern, Reihe V, Bd.40), 284-285.
6 Vgl. Anm. 2 zur Einleitung der vorliegenden Edition.
7 Adolf Carl Noé [ursprünglich Noë] von Archenegg (1873-1939) war ein aus Graz stammender Paläobotaniker und Germanist, der 1899 in die USA ausgewandert war und die meiste Zeit seines Lebens an der University of Chicago unterrichtete. Er war z.B. aktiv im „American Committee for Vienna Relief“, das von 1919-24 vor allem österreichische Kinder unterstützte.
8 Spanisch Grail Fragments, Texts, Chicago: University of Chicago Press, 1924; Spanisch Grail Fragments, Commentary, … 1925.
9 Aus dem Herzen eines Romanisten, Graz 1915.