Hugo Schuchardt an Edward Spencer Dodgson (158-46)

von Hugo Schuchardt

an Edward Spencer Dodgson

Graz

24. 12. 1894

language Deutsch

Schlagwörter: Leite de Vasconcelos, José

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Edward Spencer Dodgson (158-46). Graz, 24. 12. 1894. Hrsg. von Bernhard Hurch (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3513, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3513.


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Graz 24 Dezember 1894.

Lieber Herr Dodgson.

Ich danke Ihnen vielmals für Ihren langen Brief der Vieles enthält was mich interessirt. Gestatten Sie mir aber Ihnen eine kleine Weihnachtspredigt zu halten, die, wie es sich gehört, in drei Theile zerfällt.

1) Sie fragen mich, warum ich Ihnen meine Meinung über gewisse Etymologieen, wie griech. ναὶ = bask. nahi u.s.w. vorenthalte. Nun wenn Sie mich zu einer Antwort zwingen, so sage ich Ihnen: ich halte diese unkritischen, unmethodischen Zusammenstellungen nach Lautähnlichkeit für das was sie sind: Unsinn. Ich wiederhole es Ihnen, und muss es Ihnen wiederholen, da Sie den alten Spruch: ne bis in idem gar nicht beherzigen. Bis, ter, quater und sofort, heisst es bei Ihnen. Dabei ist

a) mein Interesse im Spiel. Denn ich kann nicht begreifen, wie Sie meinen etymologischen Betrach|2|tungen irgend welchen Werth beimessen, wenn Sie auf einem himmelweit entfernten Standpunkt stehen. Man darf hier nicht von Duldsamkeit reden; das Eine schliesst das Andere durchaus aus. Ich empfinde Ihre Phantasiegebilde wie Faustschläge1, sie beleidigen mein wissenschaftliches Denken.

b) handelt es sich um Ihr Interesse. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Sie endlich einmal Ihre cauchemars los werden. Bin ich denn der Einzige der mit Ihnen nicht zufrieden ist? Wo finden Sie denn überhaupt Beifall mit Ihren Etymologieen? Leite Vasconcellos hat sich zwanzig Jahre und länger mit den portugiesischen Mundarten beschäftigt, und Sie schreiben mir, Sie verstünden davon ebenso viel wie er, oder Ihr Ohr sei so gut wie seines. Ihm wollen Sie keine Autorität beimessen, aber wenn irgend ein Spanier, der vielleicht nicht die allereinfachsten sprachgeschichtlichen Notionen besitzt, Ihnen sagt, komme nicht von carajo her, so glauben Sie es ihm.

2) In Ihren Briefen drücken Sie sich über die meisten Personen mit denen Sie wegen des Baskischen im mündlichen oder schriftlichen Verkehr gestanden haben, sehr wenig wohlwollend, oft geradezu ungerecht aus2. Wenn irgend Etwas nicht nach Ihrem Wunsche geht, so machen Sie immer Andere dafür verantwortlich3, nie sich selbst. Sie werden einsehen dass dies4

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a) auf mich insofern einen ungünstigen Eindruck machen muss als es mich zu der Voraussetzung bringt, dass Sie Andern gegenüber über mich sich nicht günstiger äussern als mir gegenüber über Andere.

b) wünschte ich in Ihrem Interesse dass Sie gegen Andere eine freundlichere Gesinnung hegten, und zwar auf die Dauer; denn bei der ersten Bekanntschaft scheinen sie immer ziemlich eingenommen für die Leute zu sein5.

Wahrheit und Gerechtigkeit! Wie ist es möglich dass ohne diese beiden Dinge man sich miteinander verständige und miteinander verkehre?6

Und nun komme ich zum Schlusstheil, zum erfreulichen:

3). Ich schätze Sie als einen vorzüglichen Kenner des Baskischen – fragen Sie W. Courtney, was ich über Sie an ihn geschrieben habe. Ich wünschte dass Ihre Kenntniss möglichst reiche und gediegene Früchte trüge. Hier spricht mein Interesse nicht stark mit – obwohl ich dann und wann daran gedacht habe, etwas mit Ihnen7|4| zu unternehmen. Z.B. eine Ausgabe von Voltoire, von dem ein Exemplar sich in Wien befindet. Ihr Interesse würde dabei sehr gewinnen; Sie könnten den Mittelpunkt der baskologischen Bestrebungen bilden, sich Ehre und innere Befriedigung erwerben. Dazu wäre allerdings nothwendig dass Sie sich in Bezug auf Punkt 1) und 2) besserten und dass Sie Ihr Ahasverusleben aufgäben und sich irgendwo dauernd niederliessen. Das Letztere ist ja gewiss weniger kostspielig, empfiehlt sich also auch in Bezug auf Ihre Finanzen. Eine Concentration wie sie für die wissenschaftliche Arbeit erforderlich ist, kann bei der äussern8 Ruhelosigkeit in der Sie sich befinden, nicht erlangt werden. Diese spiegelt sich schon in Ihren Briefen ab; da geht Alles wie Kraut und Rüben durcheinander, Etymologieen, persönliche Bemerkungen, Textverbesserungen, bibliographische Notizen usw. Ich würde gern auf die Einzelnheiten [sic] Ihres Briefes eingehen; aber ich muss das auf ein ander Mal aufsparen – ich kann mich nicht ohne Weiteres darin zu rechtfinden.

Uebersehen Sie nicht dass es Wünsche sind (nicht Vorwürfe) die ich Ihnen zur Jahreswende darbringe, und zwar sehr gewichtige. Vielleicht gefallen sie Ihnen nicht; vielleicht sagen Sie mir – wie schon einmal, wenngleich mit etwas andern Worten: car tel est mon bon plaisir. Dazu haben Sie ein Recht; aber auch Andere haben das Recht von diesem Ihren bon plaisir Nichts wissen zu wollen.

Herzlich Ihr
H Schuchardt


1 Von Dodgson unterstrichen.

2 „oft geradezu ungerecht aus“ von Dodgson unterstrichen.

3 „so machen Sie immer Andere dafür verantwortlich“ von Dodgson unterstrichen.

4 Am Ende der Seite steht in Dodgsons Handschrift: What proof? – What proof –.

5 „eingenommen für die Leute zu sein“ von Dodgson unterstrichen.

6 Am linken Rand notierte Dodgson dazu: quite right but ???

7 Am Ende der Seite fügte Dodgson hinzu: nobody improves on acquaintance.

8 Von Dodgson unterstrichen.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Azkue Biblioteka (Euskaltzaindia). (Sig. 46)