Adolphe Rambeau an Hugo Schuchardt (01-09125)

von Adolphe Rambeau

an Hugo Schuchardt

Vevey

07. 10. 1874

language Deutsch

Schlagwörter: Lehrerbildung/Lehramtsstudium Dissertation Biographisches Universität Halle Reisen Bittschreibenlanguage Arabisch

Zitiervorschlag: Adolphe Rambeau an Hugo Schuchardt (01-09125). Vevey, 07. 10. 1874. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3469, abgerufen am 13. 12. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3469.


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Vevey, d. 7. Oct. 1874.

Geehrter Herr Professor!

Ihrem freundlichen Wunsche, den Sie mir vor meiner Abreise von Halle ausdrückten, daß ich Ihnen einmal schreiben möchte, wie es mir im Auslande gehen würde, komme ich endlich nach. Ich bin seit Ende Mai immer in Vevey gewesen, mit Ausnahme von fast 2 Monaten, die ich im |2| berner Oberland verlebt habe. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Stellung in der Familie Parsons1, die sich mir gegenüber stets mehr als freundlich und zuvorkommend gezeigt hat. Es war, glaube ich, endlich Zeit, daß ich mich etwas in der Welt umsah. Denn bis zu diesem Sommer war ich eigentlich kaum aus der Provinz Sachsen herausgekommen. So habe ich jetzt 2 Theile der Schweiz ziemlich genau kennen gelernt und auch Gelegenheit gehabt, mit Leuten von den verschiedensten Nationalitäten bekannt zu werden. Da ich täglich nur 2-3 Stunden zu geben hatte, bin ich fast gar nicht |3| in meinen Arbeiten gestört worden. Freilich – die speciell wissenschaftliche Seite meines Studiums habe ich vorläufig etwas vernachläßigen müssen. Denn einerseits fehlten mir viele der nothwendigsten Bücher und andrerseits strebte ich vor Allem danach, Französisch und Englisch möglichst gut sprechen zu lernen. Auf diese practische Seite meines Studiums, die ich während meines Trienniums in Halle fast gar nicht beachtet habe, glaubte ich jetzt, wo ich so viel Gelegenheit zum Sprechen hatte, das Hauptgewicht legen zu müssen, weil ich ja daran denken muß, ein Staatsexamen zu machen und an einer Realschule zu unterrichten.2 Im Französischen habe ich auch rechte Fortschritte gemacht, denn, |4| spreche ich auch nicht sehr elegant und fließend, so spreche ich doch ziemlich correct und habe mir meine Aussprache nicht verdorben, wozu immerhin im Umgange mit Engländern und Amerikanern große Gefahr war. Englisch zu sprechen habe ich erst seit einem Monate angefangen. –

Nächsten Freitag werden wir nach Italien abreisen und von da in einigen Wochen nach Ägypten, um uns dort längere Zeit aufzuhalten.3 Ich habe daher jetzt meine italienischen Studien wieder aufgenommen, die ich schon privatim auf dem Gymnasium und dann auf der Universität 2 Mal angefangen habe. –

Sie sehen, Herr Professor, daß ich jedenfalls nicht vor einem Jahre an ein Staatsexamen denken kann; |5| ich beabsichtige aber, dasselbe zu machen, sobald es mir möglich ist, und zwar in Romanisch und Englisch für obere Klassen und in Geschichte und Geographie für mittlere.4 Jedoch vor dem Staatsexamen werde ich mir den Doctograd zu erwerben suchen. An eine Doctordissertation aus dem Gebiete der Romanischen Philologie, vielleicht über Boccaccio, werde ich nächstens herangehen.5 Aber in der That – ich weiß gar nicht oder wenigstens sehr ungenau, in welchen Fächern außer dem romanischen und in welchem Umfange darin ich im Doctorexamen geprüft werden würde, und ob eine Doctordisserta-|6| tion über einen romanischen Stoff später als eine Arbeit für das Staatsexamen angesehen werden könnte. Ich würde Ihnen, Herr Professor, sehr dankbar sein, wenn ich Genaueres darüber von Ihnen erfahren könnte. Meine Adresse wird sein: „Rambeau, p. a. Mr. Parsons, Banqu. Rathbone & Comp. Caire, Egypte“.6

Ich glaube kaum, daß Sie Zeit für einen Brief an mich haben werden, aber Sie können mir ja leicht das Nöthige durch Vermittlung des Herrn Hummel7 oder Rothe8, mit denen beiden ich be- |7| freundet bin, mittheilen.

Achtungsvoll

Ihr

A. Rambeau, cand. phil.

z. Z. in Vevey, Hôtel Mooser-Chemenin.


1 Trotz intensiver Suche nicht identifiziert.

2 In seinem bei seinen Schulakten befindlichen Lebenslauf gibt Rambeau an: „Ich studierte Philologie an der Universität Halle 1871-4; nach einem 2jährigen Aufenthalte im Ausland, in Marburg, wo ich im December 1876 das examen rigorosum bestand und im Juni 1877 während meiner Abwesenheit zum Dr. phil. promovirt wurde; nach einem zweiten Aufenthalte im Ausland, wieder in Marburg, wo ich am 23. Mai 1879 das Examen pro fac. doc. bestand. Ich erhielt ein Zeugnis ersten Grades mit der Lehrbefäigung im Französischen u. Englischen für alle Klassen, im Griechischen u. Lateinischen für die mittleren Klassen.

Ich war Probekandidat u. Hilfslehrer vom 16. Sept. 1879 bis Ostern 1880 an der Realschule bei St. Johann in Strassburg i. E. Die zweite Hälfte des Probejahrs war mir ausnahmsweise erlassen worden“ (BBF, Archivdatenbank).

3 Hier lernte Rambeau offenbar Arabisch, was ihm bei seiner späteren Laufbahn zugute kam. Er veröffentlichte auch einige Artikel über Ägypten, ägyptische Verhältnisse u. seine Erlebnisse in der Zeitschrift „Aus allen Weltteilen“ bzw. den „Westermannschen Monatsheften“ (z.B. „Cairo‘s Derwische“, H. 237, 1876, 285-291).

4 Von den beiden letzgenannten Fächern ist bei den Staatsprüfungen keine Rede.

5 Rambeau promovierte letztendlich über das folgende Thema, das ihm vermutlich Edmund Stengel gestellt hatte: Über die als echt nachweisbaren Assonanzen der Chanson de Roland. Ein Beitrag zur Kenntnis des altfranzösischen Vocalismus, Halle a.S. 1878.

6 William Rathbone gründete 1742 in Liverpool ein Handles- u. Bankhaus, das in anderer Form noch heute besteht.

7 Franz Hummel, geb. 9.8.1850 in Halle a.S., war ein Studiengenosse Rambeaus, der am 4.5.1875 in Halle promovierte.

8 Nicht mit Sicherheit identifiziert; möglicherweise der Altphilologe Carl Rothe (1852-1914), der 1876 in Berlin promovierte.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 09125)