Karl von Ettmayer an Hugo Schuchardt (20-02808)

von Karl von Ettmayer

an Hugo Schuchardt

Innsbruck

29. 04. 1915

language Deutsch

Schlagwörter: Dankschreiben Politik- und Zeitgeschichte Erster Weltkrieg Universitäre Lehre Universität Erlangenlanguage Rumänischlanguage Baskischlanguage Polnisch Schuchardt, Hugo (1915) Spitzer, Leo (1928)

Zitiervorschlag: Karl von Ettmayer an Hugo Schuchardt (20-02808). Innsbruck, 29. 04. 1915. Hrsg. von Hans Goebl (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3444, abgerufen am 12. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3444.

Printedition: Goebl, Hans (1995): Karl von Ettmayer: Lombardisch-Ladinisches aus Südtirol. Ein Beitrag zum oberitalienischen Vokalismus. Die zugrundeliegenden Dialektmaterialien. Neu herausgegeben, mit einem vorwärts und einem rückwärts alphabetischen Register der Etyma, einer kurzen geotypologischen Studie zu den neuveröffentlichten Materialien, einer Biographie und einer Bibliographie sowie einer Würdigung des wissenschaftlichen Oeuvres Karl von Ettmayers. San Martin de Tor / St. Martin in Thurn (Ladinien, Südtirol): Istitut Cultural Ladin 'Micurá de Rü'.


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Innsbruck, den 29.4.15

Hochgeehrter Herr Hofrat!

Ich habe mit grosser Freude Ihren Sonderabdruck über die sprachliche Klassifikation des Baskischen1 gelesen und viele Belehrung daraus geschöpft. Augenblicklich bin ich im andern Winkel des romanischen Sprachgebietes beschäftigt, da ich den Versuch wage, trotz Kriegszeiten2 mich mit meinen Hörern ins Rumänische einzuführen. Aber schliesslich, - wer weiss[,] |2| ob nicht eines schönen Tages die Ligurer mit den Illyriern, diese mit den Skythen, mit den Pelasgern, Lelegern, Altkretensern Etruskern etc etc identifiziert3 werden? Man kann ja mit geographischer Weitherzigkeit nicht genug gewappnet sein, wenn man den praehistorischen Theorien gerecht werden will. Wenn ich ganz offen reden will, so habe ich dem ganze Ligurismus in aller Stille immer das Motto gewidmet: „…dort wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.“

Darum können Sie sich denken, dass |3| mir der kräftige Schnitt, den Sie den üppigen Trieben der Iberertheorien angedeihen lassen (Schultens4 Werk kenne ich allerdings nicht)[,] wohl getan hat[,] und dass ich hoffe, wenn mich meine Wanderungen zu den Basken zurückführen sollten, von Ihren Ausführungen reichlichen Nutzen zu ziehen. Ihre prinzipiellen Äusserungen über das Verhältnis von Sprache und Volk haben mich sehr interessiert.

Nochmals bestens dankend, verbleibe ich

Ihr

Karl v. Ettmayer


1 Die fragliche Schrift Schuchardts trägt den folgenden Titel: Baskisch = Iberisch oder = Ligurisch? in: Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien 40, 1915, 109-124 (siehe dazu Brevier 1928, 45, Nr. 679).

2 Das Königreich Rumänien ist erst im August 1916 offiziell in den Krieg gegen die Mittelmächte eingetreten. Allerdings sind seine irredentistischen Aspirationen auf Siebenbürgen schon vorher allgemein gut bekannt gewesen. Ettmayer spielt wohl darauf an. Zum Zeitpunkt des Briefes war auch Italien noch nicht in den Krieg eingetreten. Dies geschah erst am 23. Mai 1915.

3 Ettmayer evoziert hier nicht nur substratologisch relevante Probleme, wo es um den Vergleich zweier innerhalb eines Großraums aufeinander folgender Sprachen und Völker geht, sondern denkt sicher auch an die diesbezüglich schon einige Zeit vor dem Ersten Weltkrieg immer wieder geübten politischen Missbräuche und Verdrehungen.

4 Adolf Schulten (1870-1960): deutscher Althistoriker mit Arbeitsschwerpunkt in Spanien (in Numantia, der ehemaligen Hauptstadt der Keltiberer); 1909-1935 Professor in Erlangen.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 02808)