Karl von Ettmayer an Hugo Schuchardt (14-02802)

von Karl von Ettmayer

an Hugo Schuchardt

Freiburg im Üechtland

03. 03. 1910

language Deutsch

Schlagwörter: Universitätsangelegenheiten Berufungen Universität Graz Romanische Philologie Fernleihe Universität Freiburg (Schweiz) Biographisches Forschungsvorhaben Sprachgeschichtsschreibung Onomastik Druckfehler Universität Innsbruck Goebl, Hans (Hrsg.) (1995)

Zitiervorschlag: Karl von Ettmayer an Hugo Schuchardt (14-02802). Freiburg im Üechtland, 03. 03. 1910. Hrsg. von Hans Goebl (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3438, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3438.

Printedition: Goebl, Hans (1995): Karl von Ettmayer: Lombardisch-Ladinisches aus Südtirol. Ein Beitrag zum oberitalienischen Vokalismus. Die zugrundeliegenden Dialektmaterialien. Neu herausgegeben, mit einem vorwärts und einem rückwärts alphabetischen Register der Etyma, einer kurzen geotypologischen Studie zu den neuveröffentlichten Materialien, einer Biographie und einer Bibliographie sowie einer Würdigung des wissenschaftlichen Oeuvres Karl von Ettmayers. San Martin de Tor / St. Martin in Thurn (Ladinien, Südtirol): Istitut Cultural Ladin 'Micurá de Rü'.


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Freiburg i. Schweiz den 3.3.910
(genügt als Adresse)

Hochgeehrter Herr Hofrat !

Mir hat eben mein Onkel1 über eine Unterredung mit Ihnen geschrieben, in der Sie ihm mitteilten[,] dass die Grazer rom. Lehrkanzel2 zwar nicht jetzt[,] aber doch in naher Zeit frei werde, und dass sie sich dafür einsetzten wollten, dass ich als Kandidat in Frage komme.

Ich danke Ihnen herzlichst für die gute Meinung, die Sie von mir wohl hegen, und ich kann Ihnen wohl gestehen, dass mir Graz (oder Innsbruck) – besonders aber Graz immer als eine Art |2| Ideal vorgeschwebt hatte. Es ist zwar richtig, dass es für einen Philologen, der in seine Arbeiten eingespannt ist, wenig darauf ankommt, wo er arbeite; - aber man ist doch nebenbei sozusagen Mensch. Und wenn man ausserdem, wie hier in der Schweiz, für jedes Buch, das man der Bibliothek Zürich oder Basel oder Strassburg entlehnt[,] ein Porto von 1 Franken oder mehr auslegen muss3, (da für das Zusenden der Bücher jeder Interessent selbst aufzukommen hat), so ist das wieder mit ein kleines Argument, dass man seine Sehnsucht nach einem schöneren Paradiese als dieses hier nicht ganz verliert. Nachteile findet man allerdings überall auf der Welt – und sie lassen sich überwinden. Was für meine Zukunft sozusagen „Existenzbedingungen“ wären, das ist m. E. vor allem eine dauernde, stabile |3| Stellung in einer nicht ungesunden Stadt und nicht allzu entfernt vom Wohnsitze meiner Eltern, die das ihnen gewohnte südliche Klima von Bozen4 kaum ungestraft verlassen dürften und andererseits gelegentlich auf meine Hilfe angewiesen sein könnten. Es ist natürlich, dass mir Graz, wenn es sich mir bieten wollte, in allererster Linie stehen würde, dass ich aber auch in Innsbruck5 dauernd zufrieden leben würde, Ich weiss, dass ich nicht allein auf der Welt bin, und kann nicht beurteilen, wo ich besser am Platze wäre, darum gehe ich dorthin, wo man mich gerne sieht. Auf die Stabilität meiner einmal erreichten Stellung lege ich darum so grossen Wert, weil ich das zum Arbeiten brauche. Sie wissen, Herr Hofrat, in welcher Richtung ich die Grammatik auszugestalten denke6 und dass ich über das, was ich bisher in |4| dieser Frage publizierte, noch hinaus möchte. Gerade jetzt7, wo ich mich körperlich so rüstig fühle[,] bin ich daran, eine m. E. wichtige Etappe am Weg zur „äusseren und inneren Geschichte“ der Sprachen auszugestalten: die Ortsnamenkunde[,] welche mir nach beiden Richtungen ein Hauptwerkzeug zu werden verspricht. Ich danke Ihnen noch für Ihre letzte Karte, wo Sie mir über meine Charakteristik8 geschrieben hatten. Ich weiss nicht, was Sie über diesen Punkt meinem Onkel sagten. Ich weiss nur, dass mich Ihre freundlichen Worte damals sehr freuten und dass ich Ihre Mahnung wegen der „Druckfehler“, die auch in einer Improvisation nicht notwendig wären, als wohl berechtigt erkannt hatte. Ich wäre froh, von allen Menschen so wohlwollend beurteilt zu werden, wie von Ihnen. Also nochmals besten Dank für alles.

Ihr ergeb.
Ettmayer


1 Über diesen Onkel Ettmayers konnte ich nichts Näheres ermitteln. Da aber in der Familie der Mutter Ettmayers eine besondere Häufung von Universitätsprofessoren existierte, wäre es nicht unplausibel, dass es sich hier um einen Bruder von Marie Schrötter, der Mutter Ettmayers, handelt: cf. Goebl 1995, 199.

2 Inhaber der fraglichen Lehrkanzel (und damit Nachfolger von Hugo Schuchardt) waren zu Ettmayers Lebenszeiten: Jules Cornu (1849-1919): von 1901 bis 1911, und danach Adolf Zauner (1870-1940): von 1911 bis 1939.

3 Dieser arbeitspraktische Hinweis ist bemerkenswert. Die Freiburger Bibliothekssituation scheint daher doppelt ungünstig gewesen zu sein: zu geringe Bestände und finanziell erschwerte Fernleihe.

4 Ettmayers Eltern lebten damals seit 1902 in Gries bei Bozen (cf. Goebl 1995, 199).

5 Ettmayer bekleidete in der Nachfolge Gartners das Innsbrucker Ordinariat zwischen 1911 und 1915 (cf. Goebl 1995, 209-211).

6 Siehe dazu vor allem die Brief 10-02798 und 12-02799.

7 Der am 22.7.1874 geborene Ettmayer war zu diesem Zeitpunkt 35 Jahre alt.

8 Es handelt sich dabei höchstwahrscheinlich um die erst im Spätsommer des Jahres 1910 veröffentlichten „ Vorträge zur Charakteristik des Altfranzösischen “, die Ettmayer 1910 in Freiburg im Selbstverlag herausgegeben hatte (BIB 18 bei Goebl 1995, 248). Im März des Jahres 1910 war der Druck dieser Schrift, wie man aus Brief 15-02803 erfährt, allerdings noch nicht vollendet. Ettmayer muss Schuchardt also dazu in Briefform informiert haben.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 02802)