Emil Freymond an Hugo Schuchardt (01-03128)
von Emil Freymond
an Hugo Schuchardt
02. 08. 1900
Deutsch
Schlagwörter: Dankschreiben Publikationsversand Kreolsprachen Wissenschaftstheoretische Reflexion Etymologie Sprachwandel Lautwandel Festschrift Romanische Sprachen
Rumänisch Paul, Hermann Gröber, Gustav Schuchardt, Hugo (1900) Mücke, Johannes (2015) Schuchardt, Hugo (1898)
Zitiervorschlag: Emil Freymond an Hugo Schuchardt (01-03128). Bern, 02. 08. 1900. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3423, abgerufen am 03. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3423.
Bern, 2.VIII.00
Hochverehrter Herr College,
Für die gütige Zusendung ihrer Probevorlesung1 spreche ich Ihnen hierdurch meinen aufrichtigsten Dank aus. Wohl alle Romanisten werden Ihnen dafür dankbar sein, daß Sie sich nach 30 Jahren dazu entschlossen haben, diese wertvolle Arbeit, und zwar in der ursprünglichen Gestalt drucken zu lassen. Ich habe die Rede unmittelbar nach Empfang mit großem Genuß gelesen und, offen gesagt, zu meiner nicht geringen Verwunderung daraus erfahren daß Sie bereits i. J. 1870 Gedanken ausgesprochen haben, die heute zwar z.T. Allgemeingut der Sprachforscher sind, von denen ich aber irrtümlich meinte, daß sie von H. Paul2 und Anderen herrührten. Es ist höchst interessant zu sehen, wie Sie schon in dieser älteren Arbeit auf die Kreolensprachen hinweisen3; besonders zutreffend erscheint mir Ihre Auseinandersetzung über die dialektischen „Färbungen“4, sehr an-|2|regend ferner der Passus über den musikalischen Rhythmus5, obgleich ich nicht davon überzeugt bin, daß aus diesem Rhythmus zunächst die lautlichen Erscheinungen hervorgegangen sind.
In einer meiner letzten Seminarübungen hatte ich Gelegenheit, das Etymon von aller etc. zu besprechen und habe dabei natürlich auch Ihrer gebührend gedacht. Dabei fiel mir ein, man könnte vielleicht anstatt des von Ihnen (Zs. XXII 398)6 angenommenen lautlich bedingten Suffixwandels (ammulare → xamminare) Einfluß von caminare annehmen. Begriff und Laute würden trefflich passen. Das in caminare erhaltene i stört natürlich nicht; es wurde wegen des i im dazugehörigen Subst. gehalten. Leider kann ich hier aber nicht konstatieren, ob caminus im rät. und rum. weiterlebt. Dürfte ich mir die ergebene Anfrage erlauben, ob Ihnen caminus in rät. undrum. Reflexen bekannt ist? Darf ich zugleich daran die Frage knüpfen, ob Sie die Gröber-Festschrift |3| oder vielmehr vielleicht zufällig meine darin erschienene Arbeit über Artus und das Katzenungetüm besitzen?7 Es würde mich aufrichtig freuen, Ihnen nachträglich ein Exemplar meiner Abhandlung zusenden zu dürfen.
Mit nochmaligem Dank und dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung
E. Freymond
1 Über die Klassifikation der romanischen Mundarten, Probe-Vorlesung gehalten zu Leipzig am 30. April 1870, Graz 1900.
2 Hermann Paul (1846-1921) war ein Exponent der junggrammatischen Sprachwissenschaft; sein Verhältnis zu Schuchardt beleuchtet Johannes Mücke, „,... unsere freundschaftlichen Beziehungen...‘. Zum Verhältnis von Hermann Paul und Hugo Schuchardt“, in: Luca Melchior & Johannes Mücke (Hgg.). Bausteine zur Rekonstruktion eines Netzwerks IV: Von Diez zur Sprachanthropologie, Graz: Institut für Sprachwissenschaft 2015, 125-164.
3 Über die Klassifikation (wie Anm. 1), 15f.
4 Über die Klassifikation (wie Anm. 1), 21f.
5 Über die Klassifikation (wie Anm. 1), 23-25.
6 „Ambulare usw. Zu Ztschr. XXII, 265f.“, ZrP 22, 1898, 398-400
7 „ Artus Kampf mit dem Katzenungetüm. Eine Episode der Vulgata des Livre d’Artus, die Sage und ihre Lokalisierung in Savoyen “, Beiträge zur romanischen Philologie. Festgabe für Gustav Gröber, hrsg. v. Rudolf Zenker, Halle a. S. 1899, 311-396.