Hugo Schuchardt an Edward Spencer Dodgson (123-36)

von Hugo Schuchardt

an Edward Spencer Dodgson

Graz

01. 12. 1893

language Deutsch

Schlagwörter: Euskara (Organ für die Interessen der "Baskischen Gesellschaft") Société Ramondlanguage Baskisch Vinson, Julien Stempf, Victor

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Edward Spencer Dodgson (123-36). Graz, 01. 12. 1893. Hrsg. von Bernhard Hurch (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3380, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3380.


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Graz, 1 Dez. 1893.

Lieber Herr Dodgson.

Meine Erklärung von deusaneen die Sie inzwischen erhalten haben werden, scheint in dem deuseen Bestätigung zu finden, wenigstens was das s anlangt. Denn deusan würde sein " celui qui le lui a“, nicht “ceux qui le lui ont“. Aber dieses und Anderes was ich Ihnen auf Ihre Anfragen mittheile, will ich durchaus nicht als meine endgültige Ansicht genommen wissen. – Was diraustazu betrifft, “vous me le dites“ nach Aizquibel, so passt dies auf die Stelle Dechepares nicht*) Ich bin geneigt, dirauztazu zu lesen wie der Brief von Echauz hat, und in dieser Form das soul. deiztatzü, “vous me les avez“ zu erblicken, das ja auf *daui ztatzu zurückgehen muss (s. Bask. Stud. I, 47). Wie nun aber dem soul. deitazü bei Dechepare ein deraudazu, daraudazu entspricht, so wäre ein Plural hier ein derauztaza zu er|2|warten. Wenn in der ersten Silbe ein i eingetreten ist, so kann dies kein anderes als jenes dativische i sein das sich ja ursprünglich in allen Dativformen (Zielformen) findet (s. Bask. Stud. I, 57). Dirauztazu “vous me les avez“ würde den Sinn einer Bezugsform (mit Dativus ethicus) haben: “ ils me sont, ô vous!“ ganz so wie soul. dütüzü sowohl bedeutet “vous les avez“ wie “ils sont, ô vous!“ Ich sehe eben in diesem Augenblick erst dass Vinson Revue de ling. XVII, 219 in dem Briefe von 1584 dirauztazu mit “il les a à moi“ übersetzt. Liesse sich zamariak pents-araziten dirauztazu nicht übersetzen “les chevaux me sont laissés panser“ (forme respect.) d.h. “man lässt mir die Pferde warten (soigner)“? Im Südfranzösischen heisst pensa ebensowohl “warten“ wie “denken“. Ich kann mir nicht denken dass an dieser Stelle des Briefes mehrere Worte ausgefallen sind obwohl ich nicht verstehe worum es sich handelt. Ich werde wahrscheinlich über die ganze Sache in der “Euskara“ schreiben.

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Errepira heisst “valle“ nach Larramendi; es muss ein romanisches Wort sein.

Was die Etymologieen anlangt, so muss ich Ihnen immer wieder von Neuem wiederholen dass ich nicht weiss was es für einen Nutzen hat, überall Ähnlichkeiten zwischen Wörtern zu finden ohne dabei in kritischer und methodischer Weise vorzugehen. Nennen Sie das Beschränktheit bei mir – ich kann mir nicht helfen. Also z.B. warum sagen Sie sich nicht dass loiça eine Nebenform von louça ist, dass dies dem span. loza, “irdenes Geschirr“ entspricht und dass dies von lat. lŭtea am Wahrscheinlichsten abzuleiten [ist]. Wenn Sie an bask. lohi denken, so müssen Sie doch über die Endung - ça sich Rechenschaft geben U.s.w. u.s.w.

Ich habe gerade ein merkwürdiges Buch gelesen: A. Galice, Don Ignacio. Mœurs basques. Paris 1893. Ich bin neugierig was die Basken dazu sagen werden; es wirft kein günstiges Licht |4| auf die baskischen Sitten, am wenigsten auf die der Priester. Obwohl das Baskische das darin vorkommt, sehr falsch gedruckt ist, muss der Verfasser es doch einigermassen kennen.

Sie erwähnten neulich – um zu begründen warum Sie mit so vielen Bascophilen zerfallen sind – dass Sie von denselben schlecht behandelt oder ignorirt worden seien. Nun sehen Sie, ich habe von Vinson, Stempf, d’Abbadie, der Société Raymont u. A. keine Empfangsbestätigung für meine Bask. Stud. I erhalten, und nehme das den Leuten nicht weiter übel; Vinson scheint auch in der Revue de linguistique keine Notiz davon nehmen zu wollen – nun das würde mich eben nur wundern.

*) Dechepare sagt in diesem Sinne anderswo: diostazu.

Bestens grüssend

Ihr

HS.1

*) Dechepare sagt in diesem Sinne anderswo: diostazu.


1 In fremder Handschrift hinzugefügt: Hugo Schuchardt.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Azkue Biblioteka (Euskaltzaindia). (Sig. 36)