Czernowitz, 28 April 77.
Sehr geehrter Herr Collega,
für Ihre gütige Zusendung des Aufrufes zur Betheiligung an einer [Diez-Stiftung](https://gams.uni-graz.at/o:hsa.subjects#S.321)
Ein Jahr nach dem Tod des romanistischen Bonner Altmeisters Friedrich Christian Diez am 29.5.1876 kam der Plan auf, ihm zu Ehren „an seinen ruhmreichen Namen eine Stiftung zu knüpfen, die den Zweck habe, die Arbeit auf dem Gebiete der von ihm begründeten Wissenschaft von den romanischen Sprachen zu fördern, eine Stiftung, welche durch Ermuthigung zum Fortschritt auf den von dem Meister gebahnten Wege dazu beitrage, dass das von ihm Geleistete künftigen Geschlechtern im rechten Sinne erhalten bleibe, und welche zugleich die Erinnerung an sein unvergängliches Verdienst immer wieder erneuere“ („
[Aufruf zur Begründung einer Diez-Stiftung](https://gams.uni-graz.at/o:hsa.bibliography#BIBL.1960)
“, datiert vom 1.2.1877, Text in ZrP 1, 1877, 161-164). Die früheste Idee zu einer übernationalen Diez-Ehrung war von der Rivista di filologia romanza ausgegangen; in
Preußen hatte der zu diesem Zeitpunkt noch in
Breslau lehrende Gustav Gröber das Konzept im Hinblick auf eine Stiftung konkretisiert und seinem Berliner Kollegen Adolf Tobler mitgeteilt. Dieser griff Gröbers Vorschlag auf und verfasste den zitierten Aufruf. Allerdings hätte er die Stiftung gerne in
Deutschland etabliert, z.B. bei der [Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin](https://gams.uni-graz.at/o:hsa.subjects#S.684). Dies missfiel jedoch dem ein Jahr zuvor nach
Graz berufenen Schuchardt, der sie mit Rücksicht auf den [
Deutsch-französischen Krieg](https://gams.uni-graz.at/o:hsa.subjects#S.462) gerne außerhalb des gerade einmal fünf Jahre bestehenden Deutschen Kaiserreichs, z.B. in Rom, angesiedelt hätte. Im Hinblick darauf musste auch der folgende, sprachlich hölzern-gewundene Passus des
Toblerschen Aufrufs außerhalb Deutschlands für Verstimmung sorgen: „Das Comité, welches gern noch manche in grösserer Entfernung von
Berlin wohnende Verehrer des todten Meisters eingeladen haben würde, ihre Namen mit unter diesen Aufruf zu setzen, hat dies unterlassen, um nicht später zu thuende gemeinsame Schritte all zu sehr zu erschweren; es würde es aber sehr als eine sehr willkommene Unterstützung seiner Thätigkeit mit aufrichtigem Danke aufnehmen, wenn anderwärts, namentlich auch im Auslande, Gönner des Unternehmens in ihrer Umgebung den Plan der [Diez-Stiftung](https://gams.uni-graz.at/o:hsa.subjects#S.321) zur Kenntnis bringen, zur Betheiligung anregen, Beiträge sammeln und dieselben dem Comité übermitteln würde“ (162). Diese Hintergründe erklären Schuchardts Motive, einen eigenen Aufruf zur Gründung der [Diez-Stiftung](https://gams.uni-graz.at/o:hsa.subjects#S.321) (Wien, den 11.4.1877) zu lancieren. Er trägt die Unterschriften von Fortunato Demattio (
Innsbruck), Attilio Hortis (
Triest),
Ernst Martin (
Prag), Franz X. Miklosich (
Wien), Adolf Mussafia (
Wien) und Schuchardt selber (vgl. den Text im Hugo Schuchardt Archiv, Schriften 092). Dieser Aufruf hebt, anders als der deutsche, auf die Internationalität der Stiftung ab, die keine Nation bevorzugen und Romanen und Germanen miteinander versöhnen wolle. [Zu Einzelheiten der Auseinandersetzung Schuchardt-Tobler vgl. die einlässliche Darstellung und Dokumentation von Jürgen Storost,
[
](https://gams.uni-graz.at/o:hsa.bibliography#BIBL.1580)Hugo Schuchardt und die Gründungsphase der Diezstiftung. Stimmen in Briefen
, Bonn 1992]. sage ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank, allerdings mit dem Bedauern, daß ich selbst zur Unterzeichnung nicht aufgefordert wurde.
Schuchardt sah dieses Versäumnis offenbar ein, denn er schrieb am 8.5.1877 an Mussafia: „Aus Czernowitz schrieb mir der provenzalische Palaeograph [=Budinszky], dass er das Seinige thun werde (er hat auch den Aufruf abdrucken lassen), aber er bedauerte, dass er nicht mit zur Unterzeichnung (wohl zur nachträglichen wie Sbiera) aufgefordert worden sei. Ich werde, wenn ich Zeit habe, ihm vielleicht begütigend antworten“ (zit. nach Storost, Anm. 1, 72-73). Möglicherweise „hatte Schuchardt keine Zeit, begütigend zu antworten“, was das Fehlen weiterer Briefe Budinszkys erklären würde (vgl. unten Anm. 3). Budinszky verbirgt im vorliegenden Brief seine Verstimmung hinter leichter Ironie! Ich ließ den Aufruf durch die hiesige Deutsche Zeitung veröffentlichen und machte ihn an der Universität bekannt. Herr
Sbiera
Ion Gheorghe Sbiera (1836-1916) war Kollege
Budinszkys und Inhalber der Czernowitzer Lehrkanzel für Rumänische Sprache und Literatur.
Schuchardt hatte am 23.4.1877 an den rumänischen Philologen und Historiker Bogdan Petriceicu Hasdeu (1838-1907) geschrieben: „Wenn Sie unter dem beifolgenden Aufruf den Namen eines österreichischen Rumänen vermissen sollten, so diene Ihnen zur Erklärung, dass wir genöthigt waren, sehr eilig zu verfahren; allein ich habe an die Herren Sbiera und Cipariu sofort geschrieben und sie gebeten, einer zu veröffentlichenden rumänischen Uebersetzung des Aufrufs ihren Namen den unsrigen anzuschliessen“ (nach Storost, Anm. 1, 60). Während
Sbiera und Timotei Cipariu (1805-1887), Rumänist am Theologischen Seminar in Blasendorf (Blaj), nachträglich zur Unterschrift aufgefordert wurden, scheint dies bei Budnszky nicht der Fall gewesen zu sein. hat es übrigens übernommen, die eingehenden Gulden in Empfang zu nehmen. Freilich werden dieselben, entsprechend den hiesigen Culturverhältnißen, nur ein geringes Schärflein bilden; doch dürften hoffentlich gesegnetere Länder zur Verwirklichung des schönen Gedankens eine desto reichlichere Ernte ergeben.
Genehmigen Sie, verehrter Herr Collega, den Ausdruck meiner besonderen Ergebenheit.
Alexander Budinszky.